Defätistisch und inhaltlich dürftig

■ Während grüne LandesfürstInnen und Ost-BürgerrechtlerInnen auf Distanz zu den Bundesgrünen gehen, bekundet das neue Sprecherduo den ehernen Willen, die schwindsüchtige Partei "aufzupäppeln"...

Defätistisch und inhaltlich dürftig Während grüne LandesfürstInnen und Ost-BürgerrechtlerInnen auf Distanz zu den Bundesgrünen gehen, bekundet das neue Sprecherduo den ehernen Willen, die schwindsüchtige Partei „aufzupäppeln“. Der ostdeutsche Abgeordnete Schulz: „Es war wie im Film ,Szenen einer Ehe‘“

Eines ist klar: An diesem deutschen Parteikrisen-Wochenende haben sich die Grünen als eindeutige Sieger erwiesen. Max Streibls Drohung, daß die CSU aus der Koalition aussteige, Heiner Geißlers Ultimatum für eine inhaltliche Erneuerung, Wolfgang Schäubles Angriff gegen Kohl, der aufflammende Generationskonflikt in der FDP — von der Strukturreform der bayerischen SPD ganz zu schweigen —: All das hatte in den Medien keine Chancen gegen die grüne Lust an der Selbstzerstörung. Selbst die Fernsehberichterstatter vom Schlachtfeld in Neumünster redeten so atemlos, als würden sie gerade einen Exklusivbericht von einer hochgegangenen Autobombe absetzen. Mit den Worten von Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter vom Wahlbündnis 90/Grüne: „Ich habe hier eine fürchterliche Streitkultur erlebt, das schreckliche Zerwürfnis ist schockierend... Die Grünen sind uns in doppelter Hinsicht um Jahre voraus: in ihren theoretischen Entwürfen und in ihrer inneren Zerrissenheit. Streckenweise hatte ich das Gefühl aus dem Film ,Szenen einer Ehe‘.“

Von all dem scheinen die neugewählten Vorstandssprecher Christine Weiske und Ludger Volmer nichts gespürt zu haben, als sie sich gestern zur ersten Pressekonferenz in Bonn stellten. In Neumünster sei trotz des streckenweise chaotischen Verlaufs der Neuanfang gelungen. Die Grünen böten nun gute Voraussetzungen für die Konsolidierung und für den „Comeback“ bei der nächsten Bundestagswahl. Durch die Strukturreformen sei es jetzt möglich, so Ludger Volmer, die „Partei aufzupäppeln“. Insbesondere bemühten sich die linken VorstandsprecherInnen, sich als Integrationisten darzustellen. „Wie wollen keinen ausgrenzen“, so die bekannte Formel, von Christine Weiske wiederholt. Schwerpunkt der Arbeit soll die Fusion mit der Bürgerbewegung sein. Tatsächlich war das Verhältnis zur ostdeutschen Bürgerbewegung das Schlüsselproblem auf dem grünen Parteitag. Der „Aufbruch“ entwickelte aus dem Bündnis mit den Bürgerrechtlern den Ausbruch aus dem klassischen Linksmuster und hat eine Vision einer politischen Verknüpfung von Ökologie und Demokratie entwickelt. Aber in Neumünster wurde weder das tatsächliche Verhältnis der Grünen zu den Bürgerrechtlern diskutiert, noch die politischen Ideen, die sich an diesem reiben.

Ludger Volmer war inhaltlich zum Formelkompromiß mit dem „Aufbruch“ und den „Realos“ bereit und bot die Formel vom „ökologischen Humanismus“ als Annäherung an. Sein „Linkes Forum“ zieh ihn darob des Verrats; denn dort war die Haltung: „Wir müssen verhindern, daß die bürgerlich-liberalen Bürgerbewegungen als Hebel gegen die Ost-Grünen benutzt werden.“

Natürlich konnte niemand offen gegen das Wahlbündnis 90 argumentieren, schließlich sind dort die Helden der demokratischen Revolution, die Wollenbergers, Ullmanns, Poppes, Reichs. Die Formel, die dann mit der Wahl Volmers auch siegreich war, lautet: „Wir sind für die Kooperation in ihrer ganzen Breite.“ Aber „ganze Breite“ heißt auch Kooperation mit dem Unabhängigen Frauenverband, mit dem Schwulenverband, mit dem Mieterverband und Arbeitslosenverband. So wenig also der Vorstandssprecher Ludger Volmer für eine politische Auseinandersetzung mit der Bürgerrechtsbewegung steht, so wenig tut es die Ost- Grüne Christine Weiske. Sie drückt es nur raffinierter aus: Man müsse die Öffnung der Grünen propagieren, aber man müsse verhindern, „daß der Umarmungsversuch der Grünen die Bürgerrechtsbewegung erdrückt“. Frau Weiske ist als Person eher ein negatives Signal. Sie gehört den Brandenburger Grünen an, die sich ja gegen ein Zusammengehen mit dem Wahlbündnis 90 ausgesprochen hatten und deswegen die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft hatten. Sie selbst war seinerzeit nur eine Verlegenheitskandidatin. Daß die Ost-Grünen eine Umweltschutzpartei waren und eben keine DDR- Opposition, daß sie deswegen immer noch mit dem Gefühl der Unterlegenheit zu kämpfen haben, macht ihre Wahl pikant.

Gleichwohl sind die Elemente einer Strukturreform nicht zu übersehen. Ludger Volmer steht dabei nicht für eine politische Neubesinnung, sondern für die Intaktheit und Effektivität des Apparates. Sein strategischer Satz für die Zukunft der Grünen: „Deshalb wollen wir hier und heute die Arena, in der in Zukunft unser politischer Disput ausgetragen werden soll, inhaltlich eingrenzen. Die Arena muß weit genug sein, daß die Auseinandersetzung fruchtbar ist, und eng genug, um ein beliebiges Ausufern zu verhindern.“ Neumünster hat gezeigt, daß die Grünen sich mehrheitlich auf dieser Inhaltsleere vereinen lassen wollen.

Dennoch gab es erhebliche Veränderungen, die der Öffentlichkeit entgangen sind: In seinem Papier hatte Ludger Volmer hinsichtlich der Frauenbewegung geschrieben, es gebe „unterschiedliche Ansätze der Frauenpolitik“, einerseits die Politik der Gleichstellung mit den Männern, andererseits der Kampf gegen das Patriarchat. Natürlich hätten die Grünen eine Neigung zum Letzteren. In diesem Pluralismus sah die BAG-Frauen den eindeutigen Verrat am Radikalfeminismus und brachte ein Gegenpapier zur Abstimmung. Die verloren sie. Die Niederlage der BAG, die immer fähig war, den radikalen Realitätsverlust zu erzwingen, bedeutet tatsächlich eine Änderung.

Die zweite Änderung besteht in dem Machtzuwachs der „Ländergrünen“. Der neugeschaffene Länderrat, der den Bundeshauptausschuß ersetzt, wird sich bald als Korrektiv der Bundespartei erweisen. Schon auf dem Parteitag traten die rheinland-pfälzischen Grünen überaus selbstbewußt auf. Fraktionsvorsitzende Gisela Bill erklärte, daß die Koalitionsverhandlungen „ungebrochen“ weitergehen. Sie geht auch davon aus, daß die SPD zwischen grüner Landespartei und grüner Bundespolitik zu trennen weiß: „Mir ist nichts Gegenteiliges bekannt. Und ich würde es zurückweisen, wenn eine solche Verbindung hergestellt würde, weil wir sicher nicht mit dem schlechten, defätistischen Stil und der programmatischen Dürftigkeit in Neumünster glücklich waren.“ Klaus Hartung