INTERVIEW
: Keine kleinlichen Regelungen

■ Herbert Schnoor, Innenminister in Nordrhein-Westfalen, will über eine Bundesstiftung nichtentschädigten NS-Opfern im Bundesland helfen

taz: Das Kölner Büro für NS-Verfolgte, eine Einrichtung von Verfolgten-Verbänden in der Bundesrepublik, hat das Land Nordrhein- Westfalen gebeten, eine Landesgesetzgebung zur Versorgung aller in NRW lebenden NS-Opfer zu entwickeln.

Herbert Schnoor: Was ich bisher für unbefriedigend halte, ist, daß es ganze Gruppen gibt, die noch nicht einbezogen wurden. Die Menschen, um die es jetzt geht, sind alt, zum Teil krank und sind auf Renten angewiesen, die sie vielleicht damals nicht benötigten. Da helfen aber einzelne Landesregelungen nicht.

Dennoch sind — vorwiegend sozialdemokratisch regierte — Länder wie schon vor Jahren in Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin, jetzt auch in Niedersachsen und bald auch in Hessen initiativ geworden, weil vom Bund nichts mehr zu erwarten ist.

Wir haben sehr sorgfältig geprüft, ob wir eine Landesstiftung einrichten sollten. Das ist an finanziellen Fragen gescheitert, was ich sehr bedauere; pro Jahr bräuchten wir 200 Millionen DM.

In der Landesversammlung des Landschaftsverbandes Westfalen- Lippe wurde Anfang des Jahres beschlossen, den NS-Opfern in den Behinderten- und psychiatrischen Einrichtungen einmalig 5.000 DM zu bezahlen. Ihrem Ministerium liegt jetzt der rechtliche Einspruch des in den Ruhestand getretenen Direktors Neseker vor, der prinzipiell die kommunale Kompetenz für eine solche Option bestreitet.

Die rechtliche Prüfung hat noch nicht stattgefunden. Aber ich darf Ihnen dazu eine ganz persönliche Einschätzung unter nichtjuristischen Gesichtspunkten geben: Es geht dabei um die Zwangssterilisierten, für die es lange keine Regelung gegeben hat. Nun ist — in Etappen — auf Bundesebene etwas geschehen. Doch bevor ich zur Aufstockung für diesen Personenkreis komme, denke ich momentan eher an die Personen, die bisher gar nichts bekommen haben.

Es wird über Umwege doch eine finanzielle Leistung des Landes gefordert. Und wenn ich bei dieser Frage bin, muß ich natürlich abwägen, da die Landesmittel auch begrenzt sind, wem ich jetzt etwas zukommen lasse. Es mag eine juristische Entscheidung sein, ich will der Prüfung der Kommunalaufsichtsbehörden nicht vorgreifen, die ja unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen hat. Aber für mich ist es eine politische Entscheidung hier.

Sie verweisen immer wieder auf eine neue Bundesregelung — wie müßte die denn aussehen?

Es hat keinen Sinn, das Bundesentschädigungsgesetz noch einmal zu ändern. Wir brauchen eine Bundesstiftung, in die alle einzelnen Länderregelungen einbezogen werden sollen.

SPD und Grüne haben in den letzten Jahren immer wieder eine solche Stiftung vorgeschlagen — ohne Erfolg. Setzen Sie nicht auf das falsche Pferd?

Hier gibt es doch einen Handlungsdruck auf alle. Wir haben eine andere Sachlage, wir müssen handeln!

Warum muß der Bund gerade jetzt handeln?

Ist es denn richtig, daß in den ehemaligen DDR-Ländern nur diejenigen eine Ehrenpension erhalten, die dort politisch genau hineinpaßten? Wir brauchen eine Regelung für die DDR-Bürger, die, wenn sie in der BRD gewesen wären, Entschädigung bekommen hätten. Eine Regelung für diejenigen, die als NS-Verfolgte in der BRD nicht entschädigt wurden, weil sie Kommunisten blieben. Hier müssen wir einen Schlußstrich unter diese Nachkriegsgeschichte ziehen.

Wie kann Nordrhein-Westfalen eine solche Bundesregelung anstoßen — über die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat?

Wenn ich mich hier mit dem Terminus technicus Bundesratsinitiative zurückhalte, dann nur deshalb, weil dazu ein Kabinettsbeschluß nötig ist.

Aber ich glaube, Sie sind mit Ihren Erwägungen schon auf dem richtigen Weg.

Was wird eine solche Bundesstiftung die Länder kosten?

Das wird dem Bund und den Ländern einiges abverlangen und über das hinausgehen, was manche Länder bisher als Sonderleistungen zahlen. Aber das sind wir den Opfern schuldig.

Was müßte Nordrhein-Westfalen zahlen?

Der Finanzminister möge mir verzeihen. Ich gehe davon aus, daß bei einer Bundesstiftung 100 Millionen Mark Kosten auf das Land zukommen. Sie mögen mir also abnehmen, ich möchte wirklich eine Regelung für die Betroffenen haben, ich möchte in diesem Zusammenhang nicht mit Erdnüssen handeln. Es hat keinen Sinn, hier eine kleinliche Töpfchenpolitik zu betreiben.

Was ist von NRW als bevölkerungsstärkstem Land zu erwarten, wenn der Bund sich auch in Zukunft so verhält, wie er es in der Vergangenheit demonstriert hat?

Wenn sich herausstellen sollte, daß eine Bundesregelung ausgeschlossen ist, werden wir hier im Land über die bisherige Landesregelung hinaus handeln. Ich glaube aber nicht, daß wir so pessimistisch sein müssen.

Wenn die Zwangsarbeiter in eine solche Entschädigung bzw. Fürsorge im Alter miteinbezogen werden sollen, muß sich auch die Industrie finanziell beteiligen. Müßte jetzt nicht schon durch das Land NRW eine öffentliche Anhörung mit Experten und Verfolgten-Verbänden durchgeführt werden?

Auch die Industrie hat hier eine moralische Verantwortung. Ich glaube nicht, daß es dazu jetzt einer Anhörung durch das Land bedürfte. Wenn wir mit der Bundesstiftung ernst machen, wird an die Industrie heranzutreten sein. Einige haben sich ja schon zu ihrer moralischen Pflicht bekannt. Wenn es eine Landesregelung geben sollte, glaube ich nicht, daß es leicht wäre, die Industrie miteinzubeziehen. Das müßten wir dann schon alleine machen.

Muß NRW nicht aus Sicherheit für die Opfer, die nicht mehr lange warten können, eine Doppelstrategie fahren — solange auf Bundesebene nichts Neues existiert, wenigstens eine kompensatorische Landesregelung verankern?

Ich verstehe schon, daß Sie hier sehr insistieren, aber es bedrückt mich doch etwas, wenn der Eindruck erweckt werden könnte, das Land Nordrhein-Westfalen sollte sich ausgerechnet gegenüber den NS-Opfern stärker zurückhalten als andere Länder.

In Bremen und anderswo hat man schon 1988 wegen der Erfahrungen mit dem Bund Eigeninitiative gezeigt, wenigstens kompensatorisch etwas für die „vergessenen NS-Verfolgten“ zu tun.

Wir haben darüber in der SPD- Fraktionssitzung am 23.4.1991 gesprochen. Ich habe vorgeschlagen, daß ich unabhängig von den Erwägungen einer Bundesstiftung der Fraktion zur Beratung einen Vorschlag vorlegen werde, der eine Regelung enthält, wie es sie in einigen Bundesländern gibt. Aber ich muß ganz deutlich sagen, daß ich das angesichts der Gesamtproblematik für unbefriedigend halte. In diesem Jahr müssen die Dinge auf den Weg gebracht werden. Interview: Ingo Zander