piwik no script img

Biedermänner maßregeln Homo-Zeitung

■ Österreichs Lesben-und Schwulenzeitschriften sollen beschlagnahmt werden/ Der Willkür werden Tür und Tor geöffnet

Berlin (taz) — „Wußtest du, daß Beethoven nicht nur die Musik, sondern auch seinen Neffen Karl liebte...?“ Was für Kurt Krickler von der Homosexuellen Initiative Wien (HOSI) eine historische Tatsache ist, werteten drei Richter am Oberlandesgericht Wien als Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts. Und damit als Verstoß gegen Paragraph 220 des österreichischen Strafgesetzbuches. Der Jugend(ver)führer, ein Leitfaden der HOSI für homosexuelle Jugendliche, in dem derart Wissenswertes veröffentlicht wurde, soll deshalb beschlagnahmt werden. Dies dürfte den Behörden allerdings schwerfallen, denn die Broschüre ist längst vergriffen.

Auch der beanstandeten Januar- Ausgabe von 'Tabu‘ aus dem Jahr 1988 dürften die Fahnder kaum noch habhaft werden. Hier war eine Besprechung des Films Abschiedsblicke abgedruckt — die Geschichte eines aidskranken Schwulen und seines Freundes in New York. „Der Film steckt so voller Gefühl, Ideen und Energie, daß man das Kino mit dem Gefühl verläßt: So will ich auch sein!“ Auch dies sei Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht, befanden die Richter. Sie bestätigten in drei Klagepunkten ein Urteil aus der ersten Instanz (siehe taz v. 27.04.), in vier Klagepunkten wurde es jedoch aufgehoben.

Vergeblich versuchte der Rechtsanwalt der HOSI den Richtern zu erläutern, daß Paragraph 220 lediglich Werbung für sexuelle Handlungen unter Strafe stellt, keineswegs jedoch verbietet, positiv über Homosexualität zu berichten. Doch dies ist offenbar eine Frage der Interpretation. So wurde die Ankündigung, daß LeserInnen im Jugendinfo der HOSI 'Tabu‘ kostenlos Kleinanzeigen zur Partner- oder auch Wohnungssuche aufgeben können, als Verstoß gegen den Paragraphen 220 gewertet.

Gegen einen Brief der HOSI Wien an österreichische Schülerzeitungen wurde dieser Vorwurf jedoch fallengelassen. In dem Schreiben hatte die Homo-Initiative darum gebeten, die LeserInnen regelmäßig darüber zu informieren, „wo sie sich hinwenden und Gleichgesinnte finden können...“.

Für Kurt Krickler von der HOSI sind mit diesem Urteil „der Willkür Tür und Tor geöffnet“. Auf die Gefahr der Selbstzensur angesprochen, antwortete er: „Sie wollten uns einen Denkzettel verpassen, aber wir werden uns sicherlich nicht zurückhalten.“ Das ganze Verfahren ist um so grotesker, als das Justizministerium dem Parlament mittlerweile einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Paragraphen 220 und 221 zugeleitet hat. Dorothee Winden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen