Egon Krenz stellt sich vor Harry Tisch

Prozeß gegen Harry Tisch: Zeuge Egon Krenz versuchte, den angeklagten früheren FDGB-Boß politisch und juristisch zu entlasten/ Tisch habe am Sturz Honeckers unmittelbar mitgewirkt  ■ Aus Berlin Ute Scheub

„Ich bin nicht der Angeklagte“, versuchte der ehemalige SED-Chef Egon Krenz die ihm in den Gerichtsfluren an den Fersen hängende Journaille loszuwerden. Krenz, gestern im Berliner Prozeß gegen den früheren FDGB-Chef Harry Tisch bloß als Zeuge geladen, hatte dennoch Mühe, seine eigene Rolle zwischen Reumütigkeit und Solidarität mit alten SED- Freunden zu finden. „Wer so gescheitert ist wie wir, hat sich zur moralischen Schuld zu bekennen“, gestand er mit seinem ewigen Grienen vor den Pressemikrofonen immerhin ein. Und sprach dennoch auf dem Zeugenstuhl vieles, um seinen Parteifreund Tisch zu entlasten.

Harry Tisch ist unter anderem wegen Veruntreuung von 100 Millionen Mark aus der Gewerkschaftskasse angeklagt: Diese Summe soll er der FDJ zur Finanzierung ihres Jugendfestivals 1984 rübergeschoben haben. In Wirklichkeit aber, so behauptete nun der ehemalige FDJ- Chef und Politbüroler Egon Krenz, habe die Parteiführung den Angeklagten zu diesem Griff in den Solidaritätsfonds des FDGB veranlaßt. Es folgte eine kurze Empörung des Egon K.: „Diese Entscheidung war eine politische, und ihre Behandlung vor Gericht betrachte ich als Kriminalisierung politischer Entscheidungen.“ Daß darüber kein schriftlicher Beschluß vorliege, liege daran, daß eben „manche Vorlagen auf Zuruf“ des SED-Generalsekretärs verabschiedet worden seien. Er sei aber überzeugt, daß niemand im Präsidum der Partei gegen die Spende gewesen sei. Auch der 64jährige Tisch hatte in seiner Aussage den Vorwurf der Veruntreuung aus dem FDGB- Solidaritätsfonds zurückgewiesen. Im übrigen, so die auch in eigener Sache formulierte Vorwärtsverteidigung des SED-Zwischenchefs Krenz, habe Harry Tisch zu denjenigen gehört, die ihm „sehr viel früher als andere“ gestanden hätten, die Politik von Erich Honecker nicht mehr tragen zu können. Am 14. Oktober 1989 habe er sich mit Günter Schabowski und dem FDGB-Chef in dessen Wohnung getroffen, um den Antrag auf Honeckers Ablösung für die drei Tage später datierte ZK-Sitzung zu formulieren. Tisch, der also „unmittelbar“ an den Umsturzvorbereitungen mitgewirkt habe, sollte am 16. Oktober nach Moskau zu Gorbatschow fliegen, denn „wir wollten unseren Hauptbündnispartner konsultieren, auch wenn wir wußten, daß er sich nicht einmischen würde“. Diese Treffen seien keinesfalls ungefährlich gewesen, denn bei einer Entdeckung wären sie sicher des „Hochverrats“ angeklagt worden, reckte sich hier der Zeuge.

Eberhard Aurich, früherer Erster Sekretär des Zentralrats der FDJ und nächster im Zeugenstuhl, wußte ebenfalls alles auf den Generalsekretär zu schieben und Harry Tisch dadurch zu entlasten. In den ersten Planungen im Jahre 1982 habe die FDJ noch eine „Spendenaktion“ als Finanzierungsquelle für das Jugendfestival vorgesehen. Doch weil Erich Honecker nicht gewollt habe, daß die jungen Leute zu solchen Spenden verpflichtet würden, habe „das ZK das nicht übernommen.“ Der Prozeß wird fortgesetzt.