piwik no script img

Wir lernen Euch Berlinisch

■ Die Berliner Mundart: Platt plus Obersächsisch mit jiddischen und rotwelschen Farbtupfern

Ist das Berlinische im Grunde bloß verhunztes Hochdeutsch? Oder eben doch eine eigene Mundart mit einer fast schon eigenständigen Grammatik? Das folgende Frühlingsgespräch des Dichters Karl Philipp Moritz aus dem Jahr 1781 beweist uns jahreszeitengemäß und stimmungsvoll, daß wir es bitteschön mit einem eigenen, ganz originellen und würdevollen Dialekt zu tun haben.

»ER: Sehen Sie, wie das Lohb uf die Böhme schon widder ausschlägt! o wie schön is doch der Frühling!

SIE: Ja, des freuet mir immer am mehsten, wenn ich sehe, wie die Böhme erscht anfangen grün zu werden, des seht jar zu schön aus.

ER: Aberst lahßen Sie uns doch noch en Bisken uf die Wiese jehn, Sie glohben jar nich, wie ville Veilchen, dies Jahr, wachsen: ich habe schonst für ein paar Tage welche gepflückt, un wenn Sie mich erlohben wollen, so will ich Sie heute en klehn Pucket pflücken.

SIE: O des wird mich sehre angenehm sind, Sie seynd aber jar zu jütig.«

Das also ist weihevolle Berliner Höflichkeit. Statt Bäume »Böhme«, statt sein »sind«, all das »widder« und »ville« und »sehre«, und überall der falsche Akkusativ, den die Berliner nicht vom Dativ unterscheiden können und deswegen zum Akkudativ machen: Berlinisch muß schon ne komische Mischung sein.

Ist es auch. Und man kann jetzt nur hoffen, daß unsere Leserschaft jetzt nicht in einem akuten Kulturschock erstarrt, wenn sie erfährt, daß dieser wunderbare Dialekt ursprünglich aus dem Platt von niederdeutschen Holzköppen, nordschwäbischen Gschwätz und obersächsischer Besserwisserei entstand. Als die Städte Berlin und Cölln 1244 und 1237 gegründet wurden, redete man in der Mark Brandenburg niederdeutsch mit slawischen und nordschwäbischen Sprachresten, die die askanischen Markgrafen mitgebracht hatten. Ob das nun ein Erbe aus diesen Zeiten oder nicht ist und ob es die Berliner nun wahrhaben wollen oder nicht: Bis heute haben sie mit den Schwaben so einiges aus dem sprachlichen Kuriositätenkabinett gemein. Zum Beispiel die sogenannte Entrundung, die kein Bleiberecht für Umlaute kennt. Der — allerdings nur noch für Urberliner aussprechbare — Satz »Die Diere hat ooch ma Eel un neie Farbe needich« klingt fast originalgetreu, wie in einer baden-württembergischen Kleinstadt aufgenommen. Dort heißt es nämlich: »Die Dier hat au mol Eel und neie Farbe needich«. Ha no, da staunste Baukletzer!

Dennoch und davon ganz unbeschadet: Es war das Niederdeutsch, das die erste Berliner Amtssprache bildete. Jedenfalls bis ins 15.Jahrhundert. Daß Geld nicht nur die Welt, sondern sogar die Sprache regiert, sieht man an den Berliner Kaufleuten, die dem Plattdütsch solange huldigten, wie sie Verbindung mit der norddeutschen Hanse hielten. Doch angesichts neu entstehender Handelsverbindungen nach Leipzig, als immer mehr sächsische Geschäftspartner nach Berlin kamen, kaufte man sich kurzerhand einen neuen Stadtschreiber aus Meißen ein, der das meißnerische Obersächsisch zur neuen Amtssprache machte. Die berühmte jute jebratene Jans der Berliner kommt in Wirklichkeit also aus einem sächsischen Stall. Das Berlinisch, das nun entstand, war obersächsisches Jequieke auf niederdeutschem Sprachstamm.

Eine Desillusionierung nach der anderen! Zum Beispiel auch die, daß dieser hübsche, neue Dialekt keineswegs dem Volke nach dem Schnabel gewachsen war, sondern umgekehrt. Das plattsächsische Berlinisch wurde zuerst nur bei Hofe und in den oberen Klassen gesprochen, erst im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts sickerte es langsam in die weiter unten liegenden Klassen ein. Selbst die Kurfürsten und Könige konnten, wenn sie denn überhaupt mal unfranzösisch parlierten, nur Dialekt. Auch Friedrich der Große beherrschte schon als Kronprinz den Akkudativ bis zum effeff: »Wie habe ich mihr dabei zu verhalten?«, fragte er einmal seinen Vater.

Berlinisch war hoffähig geworden. Und von da an ging's wie üblich wieder bergab. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde es zunehmend unfein, frei nach Schnauze zu quatschen. Die Jebildeten bemühten sich nun um lupenreines Hochdeutsch, also galt Berlinisch immer mehr als Vulgärsprache. Undankbares Pack, denn die sprachverspielten Berliner haben den gesamtdeutschen Wortschatz mit unzähligen Ausdrücken bereichert. Man schlage nur das Lexikon an einer beliebigen Stelle auf, sagen wir bei D, und Daffke, dalli, Deez, Deibel, Demlack, doof, dufte, Dusel und Dussel stammen von hier.

Je mehr wir uns der Neuzeit nähern, desto größer wurde die Industriestadt Berlin mit ihrem riesigen Schmelztiegel in der Mitte. Dort hinein wurden nicht nur verschiedene Kulturen, sondern auch die verschiedenen Sprachen unserer ausländischen Mitbürger und Mitbürgerinnen geworfen. Berlinisch, das ist also nicht nur schwäbisch-sächselndes Platt, sondern auch französisch, wie bei den Moneten (monnaie) oder den Kinkerlitzchen (quincaillerie), polnisch wie bei dalli (schnell) oder pomade (gleichgültig), englisch wie bei pesen (to pace) oder Macke (maggot), jiddisch wie bei Mischpoke oder meschugge. Und schließlich haben auch die Gauner und Tippelbrüder ihren persönlichen Einfluß spielen lassen und den Berliner Dialekt mit Rotwelsch eingefärbt. Ob es nun ausbaldowern ist oder Schmiere stehen und Zinken stechen, Asche, Kies, Moos, Zaster und Zimt abstauben, prellen, neppen, rupfen oder klemmen, kiebitzen oder verkohlen - all das haben wir den Sprachfantasten der Unterwelt zu verdanken.

Das Gleiche gilt auch für jenes Poem eines wahrscheinlich ebenso armen wie unbekannten Berliner Genies, mit dessen sprachsprühendem Salto Mortale wir diesen Reigen würdig beschließen können:

»Ick sitze hier und esse Klops,

uff eenmal klopp's.

Ick staune, kieke, wundre mir,

uff eenmal jeht se uff, die Tier.

Nanu, denk ick, ick denk: Nanu,

jetzt jeht se uff, erst war se zu!

Und ick jeh raus und kieke,

und wer steht draußen?...Icke!« Ute Scheub

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen