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Kurdische Flüchtlinge verhaftet

Während Schweizer Parlament und Regierung die 700-Jahrfeier zelebrierten, verhaftete ein Polizeikommando kurdische Flüchtlinge/ Ihnen droht jetzt die Abschiebung in die Türkei  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Ein größerer Kontrast läßt sich kaum vorstellen. Während Parlament und Regierung im Berner Bundeshaus mit Festreden, Musik und Theater, aber auch mit hehren Worten der Solidarität mit Armen und Verfolgten auf der ganzen Welt das 700jährige Bestehen der Eidgenossenschaft feierten, verhaftete am Donnerstag wenige hundert Meter entfernt ein Polizeikommando in rüder Manier 19 kurdische Flüchtlinge. Sie waren im Feburar dieses Jahres im Kanton Obwalden untergetaucht und seitdem zur Fahndung ausgeschrieben.

Zuvor hatten sie in einem mehrwöchigen Hungerstreik gegen ihre Abschiebung in die Tükei protestiert. Unterstützt wurden sie nicht nur von zahlreichen Flüchtlingsorgansiationen und weiten Teilen der Bevölkerung in Obwalden, sondern auch von der dortigen Kantonsregierung. Als die Berner Bundesregierung dennoch den Sofortvollzug der Abschiebung anordnete, wurden die 19 Kurden von der Bevölkerung versteckt.

Nach Bern begaben sie sich am Donnerstag wegen einer Pressekonferenz und um mit den Spitzenvertretern der Schweizer Kirchen zu sprechen. In dem Haus der katholischen Kirche wähnten sie sich sicher vor dem Zugriff der Polizei. Dieser — falschen — Meinung waren auch die Kirchenvertreter. Über das Vorgehehen der Polizisten, die gewaltsam in das Haus eindrangen, zeigten sie sich tief erschüttert. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, erklärte der Präsident der Katholischen Bischofskonferenz, Joseph Candolfi. Bei der Verhaftung, die zum Teil vom Schweizer Fernsehen gefilmt werden konnte, behandelten die Polizisten die Kurden — darunter Kinder und Babys — wie Schwerverbrecher. Die meisten wurden in Handschellen abgeführt. Auch die Kirchenvertreter wurden nach eigener Darstellung „rüpelhaft“ behandelt.

Als die Verhaftung bekannt wurde, kam es vor und im Parlamentsgebäude zu spontanen Protesten und Demonstrationen. Die Grünen erklärten, es zeuge von „Menschenverachtung und Zynismus“, schutzbedürftige und verfolgte Menschen rauszuschaffen, während die offizielle Schweiz ihre 700-Jahrfeier zelebriere. Die Sozialdemokraten, die zuletzt am Montag einen generellen Abschiebestopp für alle türkischen Kurden gefordet hatten, sprachen von einem Skandal. Der zuständige Bundesrat Arnold Koller verteidigte die Verhaftung jedoch mit den Worten, der Staat könne sich Regelverletzungen „nicht gefallen“ lassen. Die Kurden wurden umgehend in Abschiebehaft gebracht. Nach den Chancen befragt, die zwangsweise Rückführung in die Türkei doch noch zu verhindern, äußerten sich die Schweizer Medien nach den Vorfällen vom Donnerstag gestern skeptisch.

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