„Orte des kollektiven Gedächtnisses“

Eine Diskussion über die Denkmäler aus DDR-Zeiten in der Leipziger Moritz-Bastei/ Wengiger aus politischen und historischen, dafür mehr aus ästhetischen Gründen wurde für ihren Erhalt plädiert  ■ Aus Leipzig Detlef Kuhlbrodt

Bevor die Diskussion über die politischen Denkmäler der ehemaligen DDR überhaupt richtig angefangen hatte, ist sie schon wieder abgeflaut. Zwar wird sicher noch ein paar Jahre geprüft, welche Denkmäler schließlich Denkmalsschutz genießen sollen; vorschnelle Abrisse allerdings sind im Moment nicht zu befürchten, sei es auch nur deshalb, weil sie zuviel Geld kosten würden. Nur die 'Bild‘-Zeitung hetzt noch ab und an. Die Leute, die den Monumenten im allgemeinen eher wohlwollend bis gleichgültig gegenüberstehen, haben andere Sorgen.

Der Saal in den Katakomben der Leipziger „Moritz-Bastei“ war jedoch proppenvoll, als Hubertus Adam, Heidelberger Denkmalpfleger von der „Initiative politische Denkmäler in der DDR, zur Diskussion über die Zukunft jener Ideologiesymbole geladen hatte. Wie so oft allerdings bei solchen Veranstaltungen saß kein einziger Vertreter der Befürworter hurtiger Bilderstürmereien auf dem Podium. DSU-Politiker, die vor etwas mehr als einem Jahr noch in dem Karl-Marx-Relief, das den Eingang der inzwischen umbenannten Universität ziert, ein Ärgernis ersten Ranges sahen und Unterschriften für den Abriß sammelten, hatten keine Lust mehr, darüber zu debattieren. Statt dessen redeten: Professor Raum von der Berliner Kunsthochschule Weißensee, Gerald Biehle, ehedem beim „Büro für architekturbezogene Kunst und Denkmalpflege Bezirk Leipzig“ — einer Art Scharnier zwischen staatlichen Auftraggebern und Künstlern, das „Schlimmeres verhütete“ und inzwischen auch abgewickelt wurde — nun beim Kulturamt der Stadt, der vorletzte DDR-Kulturminister Dietmar Keller und Wolfgang Hocquel, Denkmalpfleger vom Land Sachsen. Mit einigen kämpferischen Erklärungen, die weniger aus historischen und politischen eher denn aus ästhetischen Gründen für den Erhalt der Denkmale plädierten, rannte man jedoch offene Türen ein.

Hubertus Adam gab zu bedenken, daß auch die politischen Denkmäler mehr über ihre Entstehungszeit sprechen würden, als über das, worauf sie rekurrierten; sie seien „Orte kollektiven Gedächtnisses“ formulierte er etwas großspurig; sie könnten dazu beitragen, Geschichte sinnlich erfahrbar zu machen, ergänzte ein Kunstwissenschaftler aus dem Publikum. Ein „Abriß“ des 7 mal 15 Meter großen Karl-Marx-Reliefs würde die Geschichtsklitterung fortschreiben, die mit der Umbenennung des ehemaligen Karl-Marx-Platzes in Augustusplatz schon angefangen hätte. Die Montagsdemonstrationen hätten jedenfalls auf dem Karl-Marx- Platz stattgefunden. Und „den Augustusplatz gibt es nicht mehr“, mag man ihn auch jetzt wieder Augustusplatz nennen und damit jede Erinnerung an die DDR wegwischen wollen.

Dietmar Keller beschwor DDR- Identität. Gegen die Überformung durch den Westen wollte er eigene Kunst und eigene Geschichte erhalten wissen. Um die Vergangenheit aufzuarbeiten, sei es in der Denkmalsfrage wichtig, sehr lange erst einmal abzuwarten. Die Denkmalsgegner erinnerten ihn an die besten Zeiten der SED, wo „gegen Ringelsocken diskutiert“ wurde.

Dr. Hocquel dagegen wollte nichts von „unseren Kunstwerken“ wissen; die Denkmäler seien schließlich Parteiauftragskunst gewesen, er habe das nicht gewollt, und so sei das auch nicht „meine Kunst“. „Warum eigentlich“, so fragte er in den Raum, „nicht die ganze Uni abreißen?“ Sie sei doch eh schlecht gebaut. Doch „eigentlich“ war auch er für behutsamen Umgang.

Mit Tafeln an den Denkmälern könne man die Vorbeigehenden zum denken bringen (Adam), am besten wäre es, sie zu begrünen, oder man könne ja auch „den Leuten Spraydosen in die Hände geben“ schlug der begeisterte Fahrradfahrer Gerald Biehle vor und machte sich im übrigen für einen „gesunden Umgang“ mit den Denkmälern stark. Das erboste einen Kunsthistoriker aus dem Publikum: Ein „Umgehen mit Denkmälern“ würde auf „Versauen“ hinaus laufen, und Tafeln, die die Geschichte des Denkmals erklären würden, seien nur eine andere Form der Bevormundung. „Denkmalpflege hat nur eine Aufgabe: Die Sachzeugen der Geschichte zu bewahren.“ Der Beifall des Saals war ihm sicher.

Man berichtete von alten Zeiten, in denen Denkmäler groß gebaut wurden, um große Wirkung zu erzielen, während sie tatsächlich „bestenfalls störend“, gemeinhin gleichgültig gelassen hätten. „Ein Denkmal ist ein Mensch“, hatte eine Berlinerin einem Filmer einmal ins Mikrofon gesprochen. Biehle war da anderer Ansicht: Das unmenschlich Heroische der DDR-Denkmäler fände seinen sprechendsten Ausdruck in der Heizung, die eingebaut in die Nase des Berliner Thälmann-Denkmals dafür sorgte, daß kein vereister Tropfen im Winter den Arbeiterführer lächerlich machen konnte.

Nicht ganz entschieden werden konnte an diesem Abend die Frage, ob am Gewandhaus ein 16 Meter hohes Monument „Walter Ulbricht mit Kindern“ oder „die Idee des Marxismus“ zeigen sollte. Darüber, daß wenn man nun mit den Bismarck- und anderen Denkmälern des Westens leben müsse, man auch mit Karl Marx auf irgendwelchen Sockeln leben könne, war man sich jedoch einig und frozzelte im kleinen Kreis noch darüber, daß der Dresdner Goldene Reiter doch eher an eine Wurst erinnern würde.