Der röhrende Sieg über die Moral

Mit dem schwarz-roten Senat ist der Motorsport auf der Avus wieder im Aufwind: Trotz Widerständen werden zwei Rennen pro Jahr genehmigt/ Doch zum Umweltproblem wird der Motorsport erst durch seine propagandistische Wirkung  ■ Auf der Piste Michaela Schießl

Autorennen ist all das, was man sonst nicht darf. Laut sein, Dreck schleudern, rumtönen, die Sau rauslassen und mit ihr mehrere hundert Pferdestärken. Autorennen ist also geil. Und der Traum eines jeden Verkehrsrowdys: links und rechts überholen, Schlangenlinien, schneiden und touchieren, unter gar keinen Umständen aber sich überholen lassen, also Vollgas as Vollgas can. Autorennen — kurz — ist gelebte Verkehrsanarchie. Und als solche sogar recht sympathisch, solange sie stattfindet auf abgesteckten Arealen.

Doch schon jaulen sie auf, die Umweltschützer. Und haben natürlich recht, wie alle Moralisten und Vernunftsmenschen. Denn ganz unbestritten ist Motorsport schlecht für die Umwelt. Allein schon den sinnlosen, enorm hohen Spritverbrauch gilt es aufs heftigste zu geißeln. Hinzu kommt die Luftverpestung und der Höllenkrach, der den Sonntagskirchgang stört.

Gestern nahe der Deutschlandhalle etwa war die Feiertagsandacht aufs heftigste beeinträchtigt. Auf der Stadtautobahn Avus feierte der ADAC (Allgemeiner Deutscher Automobil-Club), die Interessenvertretung aller straßenherstellenden Betriebe Deutschlands, mit den deutschen Tourenwagenteams und der Formel 3000 einen lärmenden Triumph. Denn das diesjährige Rennen war wahrlich etwas ganz Besonderes: ein Politikum, der röhrende Sieg über den einst rot-grünen Senat Berlins, der Triumph der Motoren über die Müsli-Moralos.

Rot-Grün nämlich hatte aus umweltpolitischen Gründen bereits die Motorradrennen verbannt und war gewillt, auch die vierrädrigen Sportgeräte aus der Stadt zu komplimentieren. Zudem wurde ein generelles Avus-Tempolimit von 100 Stundenkilometern im Alltag verhängt, was erboste Auto-Demonstrationen nach sich zog. Als sich der SPD-Bürgermeister Walter Momper auch noch weigerte, die Schirmherrschaft für die Raserei zu übernehmen, kochte die mobile Volksseele.

Und wählte die CDU, sehr zur Freude des örtlichen ADAC-Verbandes: „Die Avus wird wie in all den Jahrzehnten vorher nun wieder zweimal im Jahr genutzt. Dies verdanken wir unserer neuen Stadtregierung und sagen ein herzliches Dankeschön“, lobhudelte Sportwart Gottlieb im Grußwort. Schirmherr des Spektakels war der, der vergangene Woche die Fahrpreiserhöhung für öffentliche Verkehrsmittel festsetzte — Berlins CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen.

So ähnelte der Aufmarsch der Teams diesmal stark einem Triumphzug. Alle von Hans-Joachim Stuck bis Johnny Cecotto beteuerten, wie schön der Berliner Kurs mit den langen Geraden sei. Wehende Flaggen schmückten das Fahrerlager, in den Zeltwerkstätten warteten, glänzend und allmächtig, unbändige Ersatzmotoren neben profillosen Breitreifen auf ihre große Stunde. Hier und da gab ein Marsmensch in Helm und Overall Autogramme. Musikfetzen klatschten an Trucks, Trailer, Zelte und Imbißbuden. Allein umherschlendernde Frauen wurden erbarmungslos angegeiert von öligen Charmeuren. Kurz, es ging zu wie auf der Kirmes.

Und wie auf der Kirmes genossen die Fans diese künstliche Welt aus Risiko, Rücksichtslosigkeit, technischer Präzision und Vergnügen. Wie das Überkopf-Abenteuer in der Teufelsschleuder, die Angst vorm Fliegen im Kettenkarussell, das Rammen im Autoscooter, alles im Namen des Spaßes. Energieverschwendung? Lärm? Dreck? Kein Thema. Doch wer würde ernsthaft die Kirmes verbieten wollen? Niemand, denn in Wahrheit geht es nicht um ein paar Tage Unvernunft.

Autorennen ist nicht verwerflich, weil es umweltschädlich, sinnlos, lärmend ist. Sondern weil es so konkret ist. Es fordert zum Nachahmen auf, denn im Gegensatz zur Achterbahn hat fast jeder Erwachsene ein Auto. Das Mittel also, sich diese aufregende Welt sinnlichen Empfindens zu schaffen und auch ein ganz toller Draufgänger zu sein, wenn auch mit Bauchansatz. Die glitzernde, technische Welt der Piste macht das Auto faszinierend. Statt sich nur mit seiner Hilfe zweckgebunden von Ort zu Ort zu bewegen, wird es zum Sportgerät. Um möglichst rasant, möglichst riskant, möglichst auffällig die Leistungsgrenzen auszuloten. Denn der Großteil der AutofahrerInnen hält sich für überdurchschnittliche Wagenlenker, so ergab eine Umfrage. Spätestens hier wird Motorsport zur Gefahr — und zum Umweltproblem. 20.000 Mitglieder betreiben laut ADAC diesen „Breitensport“. Der Traum von sportlicher Mobilität scheint auch dann nicht zu verlieren, wenn er längst ausgebremst ist. Staus bestimmen das Bild des modernen Verkehrs. Doch der Hubraum- und PS-Wahn geht weiter, nicht zuletzt mit Hilfe der Tourenwagen-Rennmeisterschaften. Die Gefährte der Automobilwerke sind als Serienwagen getarnt, was die Identifikation erleichtert. Werfen wir also einen Blick in den Innenraum. Statt eines übersichtlichen Cockpits finden sich Hebel, Knöpfe, ein Öldruckmesser und ein Tourenzähler. Kein Tacho weit und breit. Die Außenspiegel sind nur noch rudimentär vorhanden, anstelle der gemütlichen Sitzpolster mit den rückenschonenden Holzkügelchen befindet sich eine wenig einladende Hartschale. Daneben steht die Startbatterie oder ein Bleigewicht. Hintenrum ist alles voller Stahlrohrverstrebungen.

Das Zeug im Motorraum hat wenig mit dem Motor im eigenen Liebling gemein. Und in den Tank — sofern man die Öffnung zwischen all den Spoilern und Aufklebern findet— passen schlappe 120 Liter Super. Bleifrei. Die Tourenwagen sind also ein Fake. Aber wer guckt da schon rein. Wenn Opel Omega gewinnt, bin auch ich ein Sieger. Verächtlichen Blickes schreite ich hoheitsvoll am Bus vorbei Richtung Parkplatz und besteige meinen stinkenden Gott. Und wieder geht's auf, mit der ganz privaten Teufelsschleuder, Vollgas in den nächsten Stau.