Efta-Länder: Keines will als letztes in die EG

Verhandlungen um den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vor endgültigem Scheitern/ Sogar in Finnland ist die EG-Mitgliedschaft kein Tabu-Thema mehr  ■ Aus Helsinki Reinhard Wolff

Die neue Regierung Finnlands unter dem konservativen Ministerpräsidenten Esko Aho, erst seit vorletzter Woche im Amt, hatte noch kaum richtig Platz genommen, als sie bereits zu einer ersten wichtigen Weichenstellung gezwungen wurde: Richtung Brüssel. Galt zuvor die auch nur vorsichtige Diskussion einer EG-Mitgliedschaft als politisches Todesurteil, war von einem Tag auf den anderen alles anders. Eingeleitet hatte die Wende der sozialdemokratische Parteivorsitzende und Oppositionsführer Pertti Paasio. Als Bislang-Außenminister ein entschiedener Gegner der EG-Bindung des neutralen Landes, verkündete er gleich nach seinem Abtritt: „Finnland muß sich auf eine baldige EG- Mitgliedschaft einstellen.“

Ursache für diese Kehrtwendung waren die letzten Nachrichten aus Brüssel und Bern. Die Verhandlungen über einen gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) der zwölf EG- und der sechs Efta- Länder sind seit langem festgefahren, und zwar so fest, daß die Schweiz nunmehr ernsthaft erwägt, diese platzen zu lassen und gleich eine volle Mitgliedschaft in der EG zu diskutieren. Möglich scheint eine klare Absichtserklärung aus Bern, daß das Land „mittelfristig“ in die EG wolle — auch wenn es zwei kapitale Hindernisse gibt: das Ansinnen der EG, auch 40-Tonnen-Lkws durch das Transitland fahren zu lassen, und die restriktive schweizerische Ausländerpolitik.

Mit einer „Absichtserklärung“, wie sie nun aus der Schweiz erwartet wird, hatte auch Schweden im Herbst letzten Jahres die EG überrascht: Bereits im Juni will Stockholm nun den formalen Beitrittsantrag in Brüssel abgeben. Von den Ländern, die einstmals in die EWR-Verhandlungen eingestiegen waren, um damit ausdrücklich eine Alternative — keine Vorstufe — für eine EG-Mitgliedschaft auszuhandeln, blieben urplötzlich nur noch zwei übrig: Norwegen und Finnland. Von den restlichen Efta-Mitgliedstaaten sind Österreich und Schweden schon halb auf dem Weg nach Brüssel, die Schweiz scheint sich auf den Weg machen zu wollen. In Island ist seit dem Regierungswechsel von Ende April zumindest das bislang geltende unerschütterliche „Nein!“ angeknackst: Konservative und Sozialdemokraten, die jetzt regieren, haben schon im Wahlkampf die Diskussion über eine Mitgliedschaft nicht mehr von vornherein für tabu erklärt. Helsinki und Oslo scheinen nun schneller als je vermutet bereit, die EWR- Segel zu streichen.

Denn Finnlands konservative Regierung brauchte nur wenige Stunden, den Sozialdemokraten bei ihrer überraschenden Wende zu folgen. „Alles“ müsse diskutiert werden, so Ministerpräsident Aho, auch eine volle EG-Mitgliedschaft des Landes. Und überhaupt: die EWR-Verhandlungen habe er schon immer als eigentliche EG-Beitrittsverhandlungen angesehen.

In Oslo legte Ministerpräsidentin Brundtland die Weichen genauso schnell um wie ihr Kollege in Helsinki. War noch Mitte April eine EG- Mitgliedschaft „absolut nicht aktuell“, der gemeinsame Wirtschaftsraum „das Ideale für unser Land“, folgte auch hier urplötzlich die Wende. Frau Brundtland am 29.4.: die Arbeiterpartei müsse eine Mitgliedschaft diskutieren, das Thema solle bei dem für Juni terminierten Parteitag auf die Tagesordnung. Und nicht nur das: „Vielleicht können wir eine gemeinsame nordische Linie finden, auch zeitlich.“ Was zwar angesichts der festliegenden schwedischen Zeitpläne nicht unbedingt eine zeitgleiche Antragstellung, aber doch parallele Beitrittsverhandlungen bedeuten würde.

Schweden hat auch vorgemacht, wie angesichts urplötzlicher Flankenwechsel der Anschein, die Regierenden würden ihr Volk nicht recht ernstnehmen, vermieden werden kann: per Volksabstimmung. Sie soll jedoch nur beratend, nicht aber verbindlich sein. Und sie soll nicht vor einem Beitrittsantrag stattfinden, wie es eigentlich logisch, aber angesichts einer möglichen Nein-Mehrheit auch gefährlich wäre, sondern in einigen Jahren, wenn alle Verhandlungen abgeschlossen sind und die StimmbürgerInnen sich an Brüssel gewöhnt haben. Norwegen hat die Erfahrung einer aufreibenden EG- Diskussion und -Volksabstimmung, die das politische Leben des Landes jahrelang belastete, schon 1973 mit 53 Prozent Nein-Stimmen hinter sich gebracht. Keine bedeutende Partei möchte das heute wiederholen.

Vordergründig ist es dabei der Fisch, der die EWR-Verhandlungen derzeit an den Rand des Scheiterns gebracht hat. Die EG will freie Fahrt für die Fischereiflotten ihrer Mitgliedsländer haben, Island und Norwegen wollen sich ihre sowieso schon leergefischten Fischgründe reservieren. Was die Verhandlungsdelegation der Efta jetzt am Fisch festmacht, ist aber eine grundsätzliche Ablehnung der harten EG-Verhandlungslinie in puncto EWR. Brüssel möchte nicht nur offene Grenzen für Fischerboote, Handel und Dienstleistungen, sondern eine komplette Übernahme aller EG- Vorschriften durch die Efta-Länder.

Mitbestimmungsrechte über die Politik der EG sollen die Efta-Länder aber natürlich nicht erhalten — schließlich sind sie ja (noch) keine EG-Mitglieder, die das eh komplizierte Austarieren der Politik in Brüssel noch weiter komplizieren würden. Die Pflichten überwögen also — das rechnet sich nach Meinung der meisten Efta-Regierungen nicht. Der EWR, einst vom Kommissionspräsidenten Delors erfunden, um die Efta auf Distanz von Brüssel zu halten, bis die politische Union der Zwölf vollendet sei, wird für die Efta zusehends uninteressant.

Ende letzter Woche nun ist die isländische Regierung wegen der Fisch-Streitigkeiten einstweilen aus den EWR-Verhandlungen ausgestiegen.

Die entscheidende Runde scheint in der kommenden Woche eingeläutet zu werden: Am 13.Mai soll ein Ministertreffen der EG- und der Efta-Länder einen letzten Anlauf versuchen, auf politischer Ebene die festgefahrenen Verhandlungen wieder flottzukriegen. Das würde den Run auf Brüssel dann aber allenfalls verlangsamen, nicht mehr stoppen.