Grüne in Thüringen sehen rot

Ende Mai Urabstimmung über den Verbleib des Landesverbandes in der Bundespartei/ West-Grüne im eigenen Saft schmoren lassen — bis sie „wieder zivilisierten Umgang“ pflegen  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — „Wir wollen unsere Kraft nicht in fruchtlosen Streitereien verpuffen lassen“, schrieb das Vorstandsmitglied des Kreisverbandes Jena der Grünen in Thüringen, Heike Besen, in einer Erklärung an den Landesvorstand ihrer Partei nach den „Positions- und Machtkämpfen“ auf der Bundesversammlung der Grünen in Neumünster. In einem Antrag an den Landesvorstand teilte auch der Kreisvorstand der Grünen in Erfurt mit, daß seine Delegierten auf der Bundesversammlung „schockiert von den intoleranten Machtkämpfen bei den West-Grünen“ gewesen seien. Und auch die Grünen in Eisenach haben von den Wessis die Nase gestrichen voll, weil in Neumünster trotz der vollzogenen Vereinigung „keine grundsätzliche Neuorientierung“ der Partei erfolgt sei. Die drei Kreisverbände forderten den Landesvorstand deshalb in der vergangenen Woche demonstrativ auf, Maßnahmen zur Beendigung der Mitgliedschaft der Grünen in Thüringen in der Bundespartei einzuleiten (Jena), oder zumindest dafür Sorge zu tragen, daß die Mitgliedschaft ausgesetzt wird ( Erfurt und Eisenach).

Gestern nun reagierte der Landesvorstand auf die Anträge aus den drei Kreisverbänden: Auf einer Pressekonferenz in Erfurt kündigten die Vorstandsmitglieder Bauer, Pchalek, Berger und Scheidt die Durchführung einer Urabstimmung an der Basis der Partei in Thüringen an. Vom 20. bis 27. Mai dürfen die Mitglieder darüber abstimmen, ob der Landesverband Thüringen der Grünen mit Wirkung vom 1. Juni 1991 seine Mitgliedschaft im Bundesverband der Partei bis auf Widerruf aussetzt — oder eben nicht. Für den Landesvorstand begründete Martin Berger die Einleitung der Urabstimmung damit, daß die West-Grünen in Neumünster „kein Verständnis für die Situation und die besonderen Anliegen des Ostens und vieler Ost- Grüner“ gezeigt hätten: „Allgemein war es enttäuschend, erleben zu müssen, wie sehr die West-Grünen im eigenen Saft schmoren und wie verletzend sie miteinander umgehen.“ Ohne inhaltliche Debatte und ohne eine Kandidatenbefragung sei in Neumünster die Vorstandswahl über die Bühne gegangen und Christine Weiske von einer Mehrheit als „kleinstes Übel“ gewählt worden.

Falls bei der Urabstimmung eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder den Ausstieg des Landesverbandes aus der Bundespartei befürwortet, will der Landesvorstand dennoch „mit Beobachterstatus“ am neugebildeten Länderrat der Partei teilnehmen. Die Urabstimmung sei ein „Zeichen des Unbehagens mit dem gegenwärtigen Zustand der Grünen“ und der „Hoffnung auf Besserung durch den guten Willen und das Engagement und die Phantasie aller, die unsere Ziele teilen“. Ob die Grünen- Mitglieder in Thüringen dem Votum der Urabstimmung des Landesvorstandes — er hatte sich 4:1 für den Rückzug aus der Bundespartei ausgesprochen — folgen und ob sie danach noch einmal den Weg zurück finden, hänge einzig und alleine von der weiteren Entwicklung in der Partei ab, schreibt der Landesvorstand in einer Mitteilung: „Wenn die Ausnahme des zivilisierten Umgangs miteinander bei den Bundesgrünen wieder zur Regel wird, werden wir sehr gerne die Mitgliedschaft des Landesverbandes im Bundesverband wiederaufnehmen.“