Wegen des Mauerstreifens ist »Mitte überall Innenstadt«

■ Auch nach dem Abriß der Mauer ist längst noch nicht klar, was mit der 46 Kilometer langen Schneise passieren soll/ Senatsverwaltungen gegeneinander

Berlin. 46 Kilometer lang ist die Bresche, die die Mauer durch Berlin gezogen hat, nach ihrem fast vollständigen Abriß liegen nun oft nur 20 Meter Niemandsland zwischen zwei Stadtteilen. Unterwegs auf dem bislang noch brach liegenden Streifen, sieht man Flächen, die mit einem einheitlichen Konzept wie einem durchgehenden Grünstreifen kaum zu nutzen sind. Zu unterschiedlich sind die Gebiete beiderseits des Terrains: Auf Kleingartenkolonien folgen Kanäle, zerrissene Stadtteile und durchtrennte Grünanlagen.

Wie also soll die Narbe des ehemaligen Todesstreifens geheilt werden? Wer hat das Recht, die Freiflächen in Anspruch zu nehmen? An Projekten, Planungen, Utopien und Investoren mangelt es nicht. Die Interessenskonflikte sind vielfältig: Initiativen fordern Bürgerbeteiligung, der Bund Deutscher Architekten (BDA) Architektenwettbewerbe, die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittelstandsförderung, dazu kommen noch die Hauptstadt-Ambitionen samt Regierungssitz, die Bewerbung Berlins um Olympia 2000 und die Planung für die Bundesgartenschau. Im Ostteil der Stadt fehlt bisher eine verbindliche Bauleitplanung, im Westteil muß aufgrund der neuen Situation umgedacht werden. Ein Gesamtgutachten zur Verkehrsplanung liegt auch noch nicht vor. Zu der schwierigen Kompetenzverteilung zwischen Senats- und Bezirksebene kommt in vielen Bereichen die ungeklärte Eigentumsfrage der Grundstücke. An der zukünftigen Nahtstelle blieben bislang also viele Fragen offen.

Das gibt auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz zu, deren »Stadtforum« zur Zeit Planungsprozesse bündeln will: »Eine der Besonderheiten der Berliner Situation besteht darin«, heißt es, »daß die Stadt sich ein grundlegend neues, umfassendes Entwicklungskonzept entwerfen muß und zugleich unzählige Entscheidungen und Einzelprojekte zu realisieren sind, die eigentlich aus einem übergreifenden Gesamtplan abgeleitet werden müßten — den es noch nicht gibt.« Daß allerdings durch das Starren auf den großen Generalplan die Maßnahmen, die konkret und im Einvernehmen mit den betroffenen AnwohnerInnen beiderseits des Grenzstreifens zu realisieren wären, auf der Strecke bleiben, zeigt das Beispiel des geplanten Mauerparks zwischen den Bezirken Prenzlauer Berg und Wedding.

Grünanlage kontra Olympiaplanung

Schon im März 1990 hatte der damalige Rat von Prenzlauer Berg beschlossen, ein etwa acht Hektar großes Gelände hinter dem Ludwig- Jahn-Sportplatz in eine grüne Zone umzuwandeln. Dieser Beschluß stieß auf den Widerstand des Magistrats, der an einem Konzept für eine Entlastungsstraße durch ebendiese Schneise bastelte. Im September 1990 wurde der Mauerparkbeschluß auch von der neugewählten Bezirksversammlung parlamentarisch abgesegnet. Am Weltkindertag am 20. September 1990 pflanzten BürgerInnen sogar schon Bäume und schufen damit Fakten.

Doch obwohl die Eigentumsverhältnisse hier keine Schwierigkeit darstellten und auch ein Sponsor gefunden wurde, gab es bislang kein grünes Licht vom Senat: Das Projekt kollidiert mit der Olympiaplanung, in der der Ausbau des Jahn-Stadions vorgesehen ist. »Wir werden nicht zulassen, daß am Ende ein kleinerer Park zum bloßen Feigenblatt für die Olympiaplanung wird«, schimpft der Baustadtrat in Prenzlauer Berg, Matthias Klipp. Ihn ärgert vor allem, daß durch die Olympia-Standortbeschlüsse vielerorts die Bezirke nicht mehr mitreden können. »Da heißt es, darüber wird nicht mehr diskutiert.«

Nicht nur Matthias Klipp fürchtet das, was von einigen bereits als »Lex Olympia« bezeichnet wird: Den Vorrang des Mammutspektakels vor anderen städtebaulichen Maßnahmen zwischen den Stadtteilen. Erste Sofortbaumaßnahmen für die Olympiade sollen dem Abgeordnetenhaus noch in diesem Jahr zur Verabschiedung vorgelegt werden. Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees über den Austragungsort wird erst 1993 gefällt werden. Kritiker monierten, im Aufsichtsrat der Olympia GmbH sei die Stadtentwicklungsverwaltung nicht beteiligt. Mit Einschränkungen in seiner Planung muß auch der Bezirk Mitte rechnen, da die Gestaltung des Geländes zwischen Nord- und Humboldthafen vom Ausbau des Stadions der Weltjugend abhängen wird.

»Mitte ist überall Innenstadt«, charakterisiert Baustadträtin Dorothea Dubrau ihren Bezirk. Die Zukunft des Grenzstreifens zwischen Mitte und Wedding, Tiergarten und Kreuzberg wird nicht nur von Olympia abhängen. Ein Gebiet ist für die Bundesgartenschau verplant, ein anderes — zwischen Reichstag und Potsdamer Platz — als historisches Gelände ein Politikum ersten Ranges, dessen Gestaltung teilweise durch die Vergabe an Daimler Benz eingeschränkt sein wird und dem sich das Stadtforum ausdrücklich widmen will. Im Bereich Friedrichstadt wurden durch die Neuasphaltierung der Zimmerstraße Fakten geschaffen, die den Investitionsdruck auf die so erschlossenen Grundstücke noch erhöhen wird. Hier soll fürs Dienstleistungsgewerbe gebaut werden.

Die erste Stelle in der Innenstadt, in der so etwas wie Wiederherstellung von Stadt stattfindet, ist das Engelbecken, wo die Mauer Kreuzberg und Mitte trennte. Hier herrscht eine seltene Einmütigkeit zwischen BürgerInnenforderungen, den beiden Bezirken und dem Senat, den historischen Grünzug zwischen Michaelkirchplatz und Schillingbrücke wiederherzustellen. Das rund 17.000 Quadratmeter große Areal soll innerhalb der nächsten Jahre als Parkanlage ausgebaut werden. Ende April pflanzten der Umweltsenator Hassemer und die Baustadträtin von Mitte, Dorothea Dubrau, einen von 234 Bäumen. Mit der Bauverwaltung war das Vorhaben nicht abgestimmt, aber Hassemer äußerte, Bausenator Nagel werde sicherlich positiv reagieren. »Die Zukunftsperspektive heißt nicht nur Bauen.« Was allerdings die Planung der angrenzenden Bereiche angeht, befürchtet die Baustadträtin des angrenzenden Bezirks Kreuzberg, Erika Romberg, daß der Druck auf den begehrten innerstädtischen Grenzstreifen für Mitte so groß sein wird, daß die Bezirke zu den schwächsten Punkten in der Planung werden könnten. Wenn immer wiederholt werde, daß es zu Dienstleistungsansiedelung in diesem Kerngebiet keine Alternative gebe, würden am Ende alle daran glauben. Dabei habe man vor anderthalb Jahren noch die Hoffnung auf einen grünen Mauerstreifen gehabt. »Uns wird nicht sehr viel Zeit gelassen, zu diskutieren«, meint sie. Aufschlußreich sei, daß vom Bezirk Kreuzberg niemand zum laufenden Stadtforum eingeladen wurde: »Das Niveau der Demokratie zwischen den Verwaltungen wird herabgesetzt.«

In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz wird eingeräumt, in der Stadtplanung gebe es einen langen Vorlauf, aber wenig konkrete Ergebnisse. Dabei machten sich seit dem Fall der Mauer viele Gedanken über den ehemaligen Todesstreifen. Anfang 1990 begann die Arbeit der »Expertengruppe Grenznaher Raum« mit neun Arbeitskreisen, von denen sich fünf mit dem ehemaligen Grenzstreifen beschäftigten. In dieser Gruppe saßen Vertreter der Senats- und Magistratsverwaltung, der Ostberliner Stadtbezirke und der Westberliner Bezirke, externe Gutachter arbeiteten zu. Verschiedene Gesprächsinitiativen bildeten sich: Das »StadtTor«, wo sich Interessierte aus Ost und West zusammensetzten, der Verein »Perspektive Berlin«, die »Gruppe 9. November« und das »Potsdam Kolleg«. In einer Art »heißem Tagungsherbst« kristallisierte sich neben Vorschlägen, wie die Stadt wieder zusammengefügt werden könnte, auch der Eindruck heraus, daß bei diesen Treffen von BürgerInnen, Architekten, Stadtplanern und Verwaltungsvertretern die Politiker fehlten.

Während viele Planer vor übereilten Beschlüssen warnen, sehen die Bezirke ihr eigenes Gewicht in den Prozessen schwinden. »Mit unseren Vorschlägen treffen wir bei SenStadtUm auf Desinteresse, wogegen SenBauWohnen signalisiert, er wolle alles allein machen«, faßt Erika Romberg zusammen. Edzard Reuter hatte in seiner Eröffnungsrede des Stadtforums gewarnt: »Wer darauf warten wollte, in endlos ausufernden Diskussionen zu einem epochalen Meisterentwurf für die Metropole des 21. Jahrhunderts zu finden, wird sich am Schluß nicht mehr einhandeln als zornige Fragen von Menschen, die auf Arbeit warten.« Karen Pfundt