Ein Zentralbahnhof für die Hauptstadt

■ S.T.E.R.N und Bezirk Tiergarten wehren sich gegen Bahnhof-Pläne der Senatsverkehrsverwaltung/ In Europas größtem Zentralbahnhof sollen 400 Fernzüge pro Tag ankommen und 50 Millionen Fahrgäste jährlich abgefertigt werden

Tiergarten. »Das ist ein riesiger Monsterbahnhof, der die ganze Gegend umkrempeln wird«, empört sich Uli Hellweg von der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. und deutet auf die beiden großen, schwarz schraffierten Blöcke im 90-Grad-Winkel auf dem Plan zwischen Lehrter Straße und Humboldhafen. »Die Menschen, die jetzt in der Umgebung wohnen, werden dann alle vertrieben, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können.« Am Rande von Tiergarten plant die Verkehrverwaltung des Senats einen Zentralbahnhof, für den die Deutsche Eisenbahn Consult (DEC), eine Tochter der Bundesbahn, kürzlich ein Konzept vorgelegt hat. Gegen diesen Plan wandten sich gestern die S.T.E.R.N. und das Bezirksamt Tiergarten.

Der Zentralbahnhof, der im Jahre 2010 fertig sein soll, würde alle bisher in Europa existierenden Maßstäbe sprengen: 400 Fernzüge sollen täglich dort halten, dazu kommen noch zahlreiche Nahverkehrszüge. 50 Millionen Passagiere werden jährlich ein- und aussteigen — fünfmal soviel wie auf den Flughäfen Schönefeld und Tegel zusammen. Die Bahnsteige sollen teils überirdisch in Ost-West-Richtung, teils unterirdisch in Nord-Süd-Richtung angelegt werden, damit Reisende aus allen Richtungen umsteigen können. Fernzüge werden nur noch dort, am Bahnhof Zoo, am Ostbahnhof und am gleichfalls geplanten neuen Bahnhof Yorckstraße stoppen. Zwei U-Bahn-Linien und eine S-Bahn müßten für schätzungsweise eine Milliarde Mark gebaut werden. Am Bahnhof Friedrichstraße werden dann noch bestenfalls Bummelzüge halten, obwohl der hervorragend an den öffentlichen Nahverkehr angebunden ist. Um den Zentralbahnhof herum würden sich Hotels, Tagungszentren, Kaufhäuser und Parkplätze ansiedeln und den Charakter der umgebenden Bezirke verändern. Und schließlich würden über Jahre hinweg Millionen von Tonnen Geröll und Sand per LKW durch die Stadt gefahren. »Es geht nicht um Kiezegoismus, sondern hier werden die Weichen für ganz Berlin gestellt und zwar hinter dem Rücken der Öffentlichkeit«, stellte S.T.E.R.N.-Chef Gustav Hämer fest.

Statt eines großen zentralen Bahnhofes — den Städte wie London oder Paris auch nicht haben — sollte man die dezentralen Strukturen Berlins bewahren, meint Hellweg. Nach den Planungsgrundlagen des Hauptstadtwettbewerbs 1957 seien in Berlin zu keiner Zeit mehr als 3 bis 3,5 Prozent der Zugreisenden umgestiegen, so daß ein großer Umsteigebahnhof gar nicht nötig sei. »Die Frage ist, ob wir eine zentralistische, reiche, aufgewertete City in Berlin wollen oder nicht«, sagte Hellweg. Dabei ist der Vorschlag eines zentralen Bahnhofs an einer Nord-Süd-Verbindung nicht neu. Schon 1910 und 1918 wurde eine ähnliche Idee entwickelt und von Hitlers Chefarchitekten Albert Speer weiterverfolgt, aber nie verwirklicht. Diese Stadtidee sollte man, so Hellweg, inzwischen als historisch überholt betrachten.

Um die Diskussion über den Zentralbahnhof öffentlich zu machen, hat S.T.E.R.N. eine Pilotuntersuchung in Auftrag gegeben, die sowohl die Auswirkung dieses Bahnhofs auf die Umgebung prüfen wie auch Alternativen vorschlagen soll. Auch Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer und seine diversen Ratgeber werden sich auf dem nächsten Stadtforum am 10. und 11. Mai mit dem Thema beschäftigen. Dies ist allerdings nur für die Fachöffentlichkeit zugänglich. esch