Südkoreas Regierung fordert: Geld oder Grundstück

Südkoreas Großunternehmen droht Kreditsperre, wenn sie brachliegende Immobilien nicht verkaufen/ Regierung fordert Spezialisierung der „Chaebols“  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Südkoreas Regierung rückt den Riesenkonzernen des Landes offenbar erstmals ernsthaft zu Leibe. Alle Unternehmen, die bis heute brachliegende Grundstücke nicht verkauft haben, müssen mit einem Einfrieren ihrer Kredite rechnen, beschloß das Wirtschaftsplanungsministerium in der vergangenen Woche. Staatschef Roh Tae Woo, in der Öffentlichkeit durch die grassierenden Immobilienspekulationen mit horrenden Preissteigerungen auf dem Grundstücksmarkt zunehmend unter Druck geraten, hatte die Parole ausgegeben: Die Unnachgiebigkeit der mächtigen Wirtschaftsbosse sei zu brechen.

Insgesamt müssen angeblich vierzig immobilienhortende Zweigbetriebe von zweiundzwanzig „Chaebols“, wie die riesigen Firmengruppen in Südkorea auch heißen, mit Kreditsperren rechnen. Auch die Steuerbehörde zog bei dem Antispekulationspaket mit und kündigte gesalzene Steueraufschläge für Bodenbesitz an. Die Börsenaufsicht ihrerseits will den verkaufsunwilligen Unternehmen den Weg ins Ausland versperren. Die Geldbeschaffung mit Auslandsanleihen im sogenannten Off-Shore-Geschäft soll verboten werden.

Der jetzt zugespitzte Konflikt begann vor einem Jahr. Nach der Demokratisierung 1987 war der wohnungspolitische Druck für die Seouler Führung ständig gewachsen. Mitte 1990 drohte die Regierung schließlich neunundvierzig „Chaebols“ Kreditsanktionen und Verkaufszwang an, falls sie ihre Spekulationsgrundstücke nicht verkauften.

Zunächst stellten sich die Konzerne taub — betriebswirtschaftlich mit gutem Grund. Um durchschnittlich 30 Prozent kletterten die Grundstückspreise in den Jahren 1988 und 1989. Im vergangenen Jahr waren es erneut über zwanzig und in den ersten drei Monaten dieses Jahres schon wieder fünf Prozent. In der letzten Dekade haben sich die Bodenpreise in Südkoreas Städten verfünffacht. Zwischen 1974 und 1987, berichtete unlängst die Tageszeitung 'Donga Ilbo‘, hätten Investoren im Immobilienmarkt Profitraten von knapp über tausend Prozent erzielt.

Doch die Einschränkungen der Kreditvergabe oder gar eine totale Darlehenssperre, wie von einigen Politikern gefordert, trifft ins Mark der südkoreanischen „Chaebols“. Der bis heute staatsabhängige Bankensektor sorgte bisher für das Schmiermittel der schnellen südkoreanischen Wirtschaftsexpansion und sicherte mit der Vergabe von unbegrenzten Krediten wirtschaftliches Wachstum auf Pump.

Allein im vergangenen Jahr pumpten die 30 größten Firmengruppen etwa 30 Milliarden Dollar im heimischen Bankensektor. Einschließlich anderer Kredite sollen sie nach Schätzungen von Experten mit 70 Milliarden Dollar in der Kreide stehen.

Die börsennotierten Firmen, rund 600 an der Zahl, weisen im Durchschnitt eine Verschuldung von 400 Prozent des Eigenkapitals auf, bei einigen unter ihnen liegt sie über tausend Prozent. Ohne neue Kredite geht ihnen die Luft aus.

Der forsche Kurs der Regierung verwundert dennoch. Obwohl sich seit 1987 die engen Banden zwischen Politik und „Big Business“ zu lockern scheinen, ist die Regierung nach wie vor stark auf die „Chaebols“ angewiesen. Allein die wirtschaftliche Macht und Dominanz, mit der Konzernriesen Südkoreas Ökonomie bestimmen, läßt der Regierung nur begrenzten Handlungsspielraum. Die vier größten Konzerngruppen erwirtschafteten 1990 einen Umsatz von 135 Milliarden Dollar — etwa die Hälfte des südkoreanischen Bruttosozialproduktes.

In Bankkreisen glaubt man daher nicht so recht an die Ernsthaftigkeit der Regierungspläne. „Da bisse sich doch der Hund in den eigenen Schwanz“, kommentiert ein Seouler Auslandsbanker die angedrohten Sanktionen. Er ist sich sicher, daß die Maßnahmen in der Praxis verpuffen. Die Eliten aus Politik und Wirtschaft seien immer noch derart verfilzt. Und Staatschef Roh wolle sicherlich nicht seinen eigenen Kopf riskieren.

Auch „Kyongshilyong“, die progressive Bürgerkoalition für ökonomische Gerechtigkeit, hält das Tauziehen zwischen Regierung und Konzernen eher für ein Schattenboxen. Sie fordert statt dessen die Abschaffung der „Chaebol“-orientierten Wirtschaftspolitik, eine qualitative Erneuerung der Industrie und veränderte Zinspolitik.

Immobilienspekulation zur Kreditfinanzierung?

Die Beschränkung der Kreditlinien ist als wirtschaftspolitisches Instrument in Südkorea gar nicht so neu. Möglicherweise ist sie sogar mitverantwortlich für die Immobilienspekulation. Bereits seit Mitte der achtziger Jahre können die Konzerne auf dem heimischen Markt nur noch Kredite bis zu einer festgelegten Obergrenze aufnehmen. Der Ausweg der meisten Konzerne war riskant: Sie finanzierten ihre Projekte jetzt über hochverzinste „short- term“-Kredite bei speziellen Finanzierungsinstituten.

Tragen konnten sie die hohen Kreditzinsen nur über höhere und sichere Profitraten. Die Unternehmen stiegen also auch wegen der Kredite in den lukrativen Immobilienmarkt ein, anstatt produktiv zu investieren. Die Immobilienpreise explodierten und die Öffentlichkeit tobte. Während einkommensschwache Gruppen steigende Mieten nicht mehr zahlen können und einige unter ihnen aus Verzweiflung gar Selbstmord begehen, setzen die „Chaebols“ auf hohe Profite im Grundstücksmarkt und die Wertbeständigkeit von Immobilien. Das hat die sozialen Gegensätze und Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich weiter vertieft.

In einem anderen Konflikt hat die Regierung sich allerdings durchgesetzt — vielleicht aber einen Phyrussieg errungen. Handelsminister Lee Bong Suh hatte im vergangenen Jahr eine erheblich stärkere Spezialisierung der Konglomerate gefordert. Die Konzernriesen, die heute von der Zahnpasta bis zum Supertanker alles herstellen, sollten je drei Spezialisierungsbereiche benennen. Nur für diese sollte es in Zukunft noch unbegrenzt Kredite geben. Nach anfänglicher Kritik beugten sich die Wirtschaftsbosse der Seouler Direktive.

Während die Regierung bei kooperationsunwilligen Firmenriesen gerade die Kreditvergabe als politischen Hebel einzusetzen versucht, entdeckt sie nun plötzlich zwielichtige Motive auch hinter dem Schmusekurs der kooperationsbereiten Konzerne. Für sie hatte die Regierung ab Juni nämlich die unbeschränkten Kredite ausgelobt. Die 88 besonders kooperationsbereiten Firmen gelten allesamt als hoch verschuldet. Im Finanzministerium vermutet man, daß die Konglomerate mit dem Geld gar nicht auf den internationalen Märkten wettbewerbsfähiger werden wollen, sondern daß sie die Darlehen nur zur Sanierung der Konzernkasse nutzen wollen.