UFOlklore

Eine 700seitige Dokumentation über die Vertuschung des Untertassen-Phänomens durch Regierungen und Geheimdienste  ■ Von Mathias Bröckers

Wenn es diese außerirdischen Untertassen wirklich gibt“, fragte neulich Blacky Fuchsberger, „warum verdammt noch mal landen sie nicht einfach vor dem Weißen Haus oder in Bonn und nehmen offizielle Beziehungen mit uns auf?“ Man mag von Erich von Dänikens Theorie über prähistorische Astronauten-Götter als Lebens- und Kulturstifter halten, was man will, die Antwort des Schweizer Ufo- Archäologen war so kurz wie perfekt: „Würden Sie diplomatische Beziehungen mit Hühnern aufnehmen?“ fragte er zurück und brachte die TV-Plaudertasse spontan zum Absturz. Für einen langen Moment war Blacky, hektisch mit der Lesebrille fuchtelnd, sprachlos. So sprachlos, wie vielleicht mancher Leser sein wird, wenn er die Dokumentation von Timothy Good, Jenseits von Top Secret — Das geheime Ufo-Wissen der Regierungen, zur Kenntnis genommen hat. Das 1987 in England und jetzt auf deutsch erschienene 700-Seiten-Werk des renommierten Ufo-Experten Good — im Brotberuf Musiker u.a. des Londoner Symphonie-Orchesters — belegt anhand zahlreicher Dokumente und Interviews mit ehemaligen Militär- und Regierungsbeamten, daß seit der Sichtung eines „diskusartigen Objekts“ durch den US-Piloten Kenneth Arnold im Juni 1947 weltweit eine systematische politische Unterdrückung von Information über das Ufo-Phänomen stattfindet. Mit einem Geheimhaltungsgrad höher als „top-secret“ hat u.a. die US- Regierung mehrfach größere Untersuchungen angestellt, über deren Ergebnisse nie etwas Wesentliches bekannt wurde — auch nach dem „Freedom of Information Act“ werden zahlreiche Dokumente von den Behörden zurückgehalten. Diejenigen Akten freilich, die infolge eines Gerichtsurteils gegen die Regierung vor einigen Jahren freigegeben werden mußten, belegen eindeutig, daß die Geheimdienste CIA und NSA, das FBI sowie die Air Force sich seit den vierziger Jahren, im Gegensatz zu allen offiziellen Verlautbarungen, intensiv mit Ufos befaßten. Und zwar mit den wirklich brisanten Fällen, die an den amtlichen Untersuchungen wie dem „Condon Report“ und dem „Projekt Blue Book“ (an letzteres wurden von 1947 bis 1969 insgesamt 12.618 Beobachtungen gemeldet) vorbeigeschleust wurden. So konnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Einerseits blieb alles, was die „nationale Sicherheit“ betraf, unter der Decke, zum anderen konnten die Ergebnisse der so gereinigten offiziellen Untersuchungen dazu dienen, das Ufo- Phänomen öffentlich wegzuerklären. Deshalb konnte das regierungsamtliche „Projekt Blue Book“ 1969 melden, daß es unter den über 12.000 Beobachtungen nur für 701 Ufo- Sichtungen keine „natürliche“ Erklärung gegeben habe, jedoch „keinerlei Hinweise darauf hindeuten, daß die als ,ungeklärt‘ eingestuften Beobachtungen auf außerirdische Flugobjekte zurückgingen.“ Timothy Good zeigt, daß Aussagen wie diese nachweislich falsch sind, er zitiert aus einer 1986 freigegebenen Air-Force-Anweisung, nach der „Meldungen unbekannter Flugobjekte, die die nationale Sicherheit betreffen könnten [...], nicht unter die Erfassung des Projekts Blue Book [fallen]“. Die im Nationalarchiv Washington lagernden Akten des Blue Book, auf die sich Politiker und Wissenschaftler bis heute berufen, wenn die Forderung nach ernsthafter Untersuchung des Ufo-Phänomens aufkommt, sind ganz offensichtlich Makulatur — mit 75.000 Seiten Umfang wohl eines der größten Potemkinschen Forschungsprojekte der Geschichte. Doch das ist längst nicht das einzige Beispiel für Vertuschungsaktionen seitens der Regierungen, wie Good anhand etlicher Dokumente und Zeugenaussagen belegt. So wurden die hartnäckigen zivilen Ufo-Initiativen in den 60er Jahren von Geheimdienstleuten unterwandert, extrem glaubwürdige Zeugen mit massiven Drohungen zum Schweigen gebracht und insgesamt alles dafür getan, das Phänomen durch Wegerklärung aus der Welt zu schaffen. Als Täuschung, Halluzination und okkulten Firlefanz, der ernsthafter Wissenschaft und Politik unwürdig ist, UFOlklore auf dem Niveau der Sensationspresse. Parallel zu dieser Desinformationskampagne beschäftigte man sich unterdessen bis zum heutigen Tag in streng geheimen Kommandostäben, wie etwa einer rund um die Uhr besetzten Beobachtungsstation der britischen Air Force in Rudloe Manor (Wiltshire), fieberhaft mit dem Thema. Eine Politik der Angst, wie sie der britische Luftfahrtminister George Ward 1954 zum Ausdruck brachte: „Bis ich eine fliegende Untertasse im Hyde Park stehen habe und von jedem Sixpence Eintritt fordern kann, müssen es Ballons sein, sonst würde die Regierung stürzen, und ich würde meinen Posten verlieren.“

1984 wurde dem Fernsehproduzenten Jaime Shandera ein Dokument zugespielt, aus dem hervorgeht, daß US-Präsident Truman 1947 eine streng geheime Arbeitsgruppe von Top-Wissenschaftlern und Militärs unter dem Decknamen „Majestic 12“ einrichtete, die eine Untersuchung über Ufos durchführen und die Ergebnisse dem Präsidenten vorlegen sollte. Das 1952 angeblich für den designierten Nachfolger Eisenhower erstellte, als „TOP SECRET-EYES ONLY“ klassifizierte Dokument enthält u.a. die Festellung, daß 1947 in der Nähe von Roswell (New Mexico) nicht nur Wrackteile einer abgestürzten Untertasse geborgen worden sind, sondern auch die Überreste von vier außerirdischen Körpern. Es versteht sich, daß sowohl die Echtheit des (im Anhang abgedruckten) Dokuments als auch die Existenz der Arbeitsgruppe „MJ-12“ bis heute bestritten werden — Good bringt unterdessen zahlreiche Belege, daß diese Bergung nicht die einzige war. Sind die zitierten Äußerungen zu diesen Fällen — u.a. von Piloten, hochrangigen Militärs und Geheimdienstlern, ihre Angaben über die Beschaffenheit der Flugobjekte und ihre Insassen — nichts weiter als eine gigantische Lügenkampagne? Nach der Lektüre dieser gewichtigen Dokumentation mag man das kaum noch glauben. Wenn es sich beim Phänomen Untertassen um 100 Prozent Humbug handelt, warum wird dann seriösen Forschern wie Timothy Good nicht bis zur letzten Aktennotiz sämtliches Material ausgehändigt, um diesem Ufo-Spuk ein für allemal ein Ende zu setzen? Warum diese so offensichtliche Geheimniskrämerei?

Nur sie, könnte man schließen, sorgt dafür, daß das Thema weiterhin ein Spuk bleibt, und eben dies — Ufos als schauriges Schmunzelthema der Yellow Press — ist die allerbeste Tarnung. Nicht zuletzt, weil sie dafür sorgt, daß die Sache auch für die offizielle Wissenschaft ein Ana-Thema bleibt: Mit Untertassen lassen sich weder staatliche Forschungsaufträge einheimsen noch Universitätskarrieren machen. Darüber hinaus verstoßen Ufos und ihre Insassen so ziemlich gegen alles, was dem herrschenden wissenschaftlichen Weltbild an Grundsätzen gut und teuer ist — von der Lichtgeschwindigkeit bis zur Evolutionstheorie —, was jeden, der ernsthaft an diesen Grundfesten rüttelt, zum schrulligen Außenseiter stempelt, ähnlich den Gelehrten, die im 18. Jahrundert darauf bestanden, daß Meteoriten vom Himmel fallen können. Den Gerüchten um vom Himmel fallende Steine setzte die Pariser Akademie der Wissenschaften 1772 eine definitive Untersuchung und Denkschrift entgegen, unterzeichnet auch von Koriphäen wie dem Chemiker Lavoisier: „Das Fallen von Steinen vom Himmel ist physikalisch unmöglich“ — es sollte noch hundert Jahre dauern, bis Meteoriten akademischerseits anerkannt und angebliche Zeugen nicht mehr für verrückt erklärt wurden. Selbst wenn nur 10 Prozent der Dokumente und Belege echt sind, auf die Timothy Good seine These stützt, ist die Geschichte durchaus plausibel. Denn hinter diesen scheinbar so läppischen Untertassen verbirgt sich eine ernstzunehmende Bedrohung, nicht für „die Menschheit“, aber für die Grundüberzeugungen der Wissenschaft, die Dogmen der Kirchen und für jede staatliche Autorität: Mit der Existenz von Wesen, die der angeblichen „Krone der Schöpfung“ geistig und technologisch weit überlegen sind, sinkt die Autorität irdischer Staats-, Geistes,- und Wirtschaftsführer automatisch auf die von Hühnern. Mit der Folge, daß auf der globalen Geflügelfarm Panik ausbricht, weil die gesamte Hackordnung durcheinander geraten ist — schon aus Selbsterhaltungsgründen müssen die amtierenden Gockel uns dummen Hühnern also die Wahrheit vorenthalten. Daß sie nur scheibchenweise ans Licht kommt — im zähen Kampf um die Offenlegung von Dokumenten —, könnte dabei durchaus der Strategie der Ufo-Intelligenzen entsprechen: Durch lichtschnelles Auf- und Abtauchen entziehen sie sich jedem umfassenden Zugriff und wiederholbaren Experiment, sie landen nicht am hellichten Tag in Fußgängerzonen, sondern in der Dämmerung vor wenigen Zeugen in einsamen Gebieten — nicht in Großveranstaltungen, die Massenpanik auslösen könnten, sondern in Einzelaktionen, aus denen nur einzelne „harmlose“ Ufo-Verrückte hervorgehen, wird die Krone der Schöpfung mit dem bodenlosen Skandal konfrontiert. Der Möglichkeit, daß „Übernatürliches“ wie die Ufos nicht übernatürlich ist, sondern wir hienieden schlicht unternatürlich.

Timothy Good: Jenseits von Top- Secret — Das geheime UFO-Wissen der Regierungen , Zweitausendeins-Verlag, 704 Seiten, 34 DM