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Wir fahren über Frankfurt nach Berlin

21.000 Bremer ZuschauerInnen feierten im Weserstadion ein 6:3 gegen Eintracht Frankfurt, den Einzug ins Pokalfinale gegen den 1.FC Köln und die Auferstehung des Fußballs gegen Otto Rehhagel  ■ Von Holger Bruns-Kösters

Bremen (taz) — „Wir haben gezeigt, daß Fußball ein Erlebnis sein kann. Danke schön.“ Ohne jede erkennbare Gefühlsregung saß Werders dünnhäutiger Fußball-Lehrer Otto Rehhagel zehn Minuten nach dem großartigen 6:3 gegen die Frankfurter Eintracht vor der Presse, nahm die Glückwünsche von Frankfurts Trainer Dragoslav Stepanovic entgegen und beschied einem Journalisten, der es immer noch nicht aufgegeben hat, Otto dem großen Mürrischen Fragen zu stellen, er möge sich doch bitte schön selbst erklären, wie die Leistungsexplosion der Bremer zu erklären sei. Dafür hätte er schließlich diesen Beruf.

Derweil waren die Fans rund ums Stadion siegestrunkener, allerbester Laune: „Berlin, Berlin, wir fahren über Frankfurt nach Berlin.“ Zum dritten Mal in Folge wird Rehhagels Mannschaft im Berliner Olympiastadion am 22. Juni den Versuch unternehmen, den Deutschen Fußballpokal an die Weser zu holen.

In den 90 Minuten auf dem Spielfeld waren die Bremer aus der tiefsten Talsohle langweiliger Mittelmäßigkeit in den siebten Fußballhimmel aufgestiegen. Wie niedrig selbst die Bremer den Erlebniswert des Bundesligadritten einschätzten, zeigt die Zuschauerzahl: Nur 21.000 BesucherInnen waren ins Weser-Stadion gekommen. Zu tief saß der Unentschieden-Frust der letzten Wochen, als die Bremer hilf- und einfallslos gegen ihre Gegner angerannt waren und meist nur mit viel Glück ein Remis zusammengekickt hatten. Werder, die langweiligste Spitzenmannschaft der Bundesliga.

Dagegen die Frankfurter Eintracht: Nachdem die Mannschaft ihren Trainer Jörg Berger gemeinsam aus dem Amt gekickt hatte, waren die Hessen Garant für Fußball als Erlebniswert, und vor allem ungeschlagen. Doch am Mittwochabend zeigten die Bremer, daß sie es doch noch können, vorausgesetzt Rehhagel läßt sie. Mit Neubarth, Rufer und Allofs hatte er ausnahmsweise einmal von Beginn an drei Stürmer spielen lassen, und die wechselten so schnell die Positionen, daß die Frankfurter nur selten im Bilde waren, wer denn nun gerade für wen zuständig sei.

Besonders der Frankfurter Michael Klein faßte sich ein ums andere Mal an den Schopf, wenn Werders gläubiger Laienprediger Wynton Rufer ihn wieder einmal einsam irgendwo hatte herumstehen lassen. Und das war zum ersten Mal nach sieben Minuten so. 1:0, und schon fuhren die Fans nach Berlin. Allerdings nur acht Minuten, dann war Lothar Sippel den stürmischen Bremern enteilt, hatte ausgeglichen und für ein paar Minuten die Frankfurter Fans zu gleichlautenden Freudensängen animiert.

Doch als Bratseth, Rufer und Neubarth bis zur Halbzeit die Frankfurter im Minutenrhythmus von einer Depression in die nächste gestürzt hatten, sahen die 21.000 freudig, aber gelassen dem Schlußpfiff entgegen. Zu früh. Denn Werder hatte noch mehr zu bieten. Zunächst einmal Spannung, als Frankfurt bis zum 4:3 herankam und dann, als alle zitterten, noch zweimal Torrausch.

Bremens Parole für das Endspiel haben die Werderaner jetzt aus dem heimischen Sprichwortschatz ausgegraben: „Dreimal ist Bremer Recht“, donnerte der Stadionsprecher ins Baustellenrund des Weser- Stadions. Eine durchaus fragwürdige Losung: Denn von den letzten beiden Fahrten nach Berlin kehrten die Bremer mit schmerzlichen Niederlagen heim.

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