Stadtmitte, nicht Mitte des Staates

■ Bruno Flierl, der wichtigste Architekturtheoretiker der DDR, zum diskutierten Abriß des Palastes der Republik/ Kanzleramt in der Stadtmitte macht diese »zur Hochsicherheitszone«

Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer möchte den Palast der Republik am liebsten wegsprengen und am historischen Ort des alten Kaiserschlosses das künftige Bundeskanzleramt errichten. Finden Sie das gut?

Bruno Flierl: Die Besetzung des alten Ortes gesellschaftlicher Zentralität durch Spitzeninstitutionen der Bundesregierung halte ich aus mehreren Gründen für nicht sehr glücklich. Die Besetzung eines angeblichen Ortes früherer Herrschaft, der im Palast der Republik symbolisch vergegenständlicht sein soll durch das höchste Amt der Exekutive, ist unglücklich, weil das trotz Negation der Negation auch wieder eine Art Fortsetzung der Geschichte ist, nun in der Siegerpose einer neu installierten Gesellschaft. Und der Palast ist gar nicht der Herrschaftsbau, als der er hochstilisiert wird. Dort tagte zwar auch die Volkskammer, aber nur wenige Male im Jahr, weil sie bloß eine Akklamationsinstitution war. Aus Gründen einer guten Vermietung gab es auch andere Gelegenheiten, dort zu tagen, so wie die Architekten, Künstler und Schriftsteller es taten, und auch sonst war er ein relativ offenes Gebäude. Nicht so frei benutzbar wie das Centre Pompidou, aber viel offener als der Kreml- Palast, der ja eigentlich als Vorbild diente. Und als kultureller Treffpunkt verdient er auch intensiviert und nicht abgerissen zu werden. Ich fürchte aber, daß er drei Tage vor der letzten Volkskammertagung weniger wegen Asbestgefahr geschlossen wurde und mehr, weil er als Symbol der DDR galt.

Und wo saß die Macht wirklich?

Im architektonisch häßlichen Gebäude des Zentralkomitees der SED, früher der Reichsbank. Die Fläche zwischen dem Gebäude und dem Marx-Engels-Platz durfte aus zwei Gründen nicht bebaut werden: erstens aus »Gründen der Schußfreiheit« um das Gebäude herum, so ist es den Städtebauern gesagt worden, zweitens sollte das Gebäude eigentlich am Marx-Engels-Platz liegen, und so lautet auch bis heute seine postalische Anschrift, obwohl es an der Kurstraße steht.

Aber für Kanzlers Residenz braucht man ja auch wieder Schußfreiheit?

Ja, das ist das grundsätzliche Problem. Die von Hassemer vorgeschlagene Ansiedlung von Bundeskanzleramt, Sitz des Bundespräsidenten, Auswärtigem Amt schafft ein Sicherheitsbedürfnis der dort Arbeitenden. Das Kanzleramt in Bonn ist rund um die Uhr eine belebte Staatsmaschinerie. Der Bereich zwischen Alexanderplatz und Friedrichstraße würde zur Hochsicherheitszone, die Kommunikation der Stadtmitte würde lahmgelegt.

Und wo soll die Regierung hin?

Sie sollte sich dort ansiedeln, wo es in Berlin schon traditionell einen Ort der Regierung gab. Also Reaktivierung des Bereiches im Spreebogen und der Otto-Grotewohl-Straße. Dort gibt es noch eine Reihe von Gebäuden, die zu Regierungszwecken genutzt werden könnten. Und man kann dort auch Platz schaffen, wenn man den unsinnigen Wohnungsbau in Frage stellt. Die Stadtmitte begann sich schon Anfang der Jahrhunderts von Reichsinstitutionen zu entleeren: Der Reichstag wurde westlich der Friedrichsstadt aufgebaut, der Sitz der Außenpolitik und des Reichspräsidenten wurde die Wilhelmstraße, die jetzige Otto-Grotewohl-Straße. Immer mehr hatte nur noch der Magistrat in der Stadtmitte seinen Sitz. Die SED hat zwar die Stadtmitte auch wieder mit Regierungsfunktionen besetzt, aber das lag unter anderem daran, daß ihr der Bereich westlich des Brandenburger Tors nicht zur Verfügung stand. So kam man auf den Marx-Engels-Platz und wollte dort als Kontrapunkt zum Schloß ein Regierungsgebäude errichten. Als das nicht gebaut wurde, kam der Ministerrat in das alte Stadthaus und entfremdete dieses Gebäude am Molkenmarkt dem Magistrat. Ich bin also auch nicht dafür, daß zentrale Bundesinstitutionen in dieses alte Stadthaus ziehen. Das Rote Rathaus sollte als repräsentativer Sitz des Regierenden Bürgermeisters dienen und das Stadthaus den vielen Büroräumen der Stadtverwaltung. Die Mitte der Stadt als Stadtmitte und nicht als Mitte des Staates.

Ist die Nutzung des Nazi-Regierungsviertels an der Otto-Grotewohl-Straße nicht hochproblematisch?

Sicher, die alte DDR-Regierung hat einen ihrer schlechtesten städtebaulichen Beschlüsse gefaßt, als sie den ehemaligen Sitz der Reichskanzlei Hitlers in der Voßstraße einfach durch verheißungsvoll sozialistischen Wohnungsbau verdrängte. Das ist kein Umgang mit Geschichte. Wenn ich heute da zu entscheiden hätte, würde ich alle Spuren von Nazibauten als Mahnmale — ähnlich wie bei der Ausstellung Topographie des Terrors — bewahren. Da reicht auch nicht ein in der Gegend liegendes Deutsches Historisches Museum. Aber sehr wohl kann man für diesen Bereich, der verkehrstechnisch leicht zu erschließen wäre, führende Institutionen des Staates vorsehen. Der Ort ist nicht nur durch die NS-Geschichte besetzt. Die Tendenz, Regierungsfunktionen dorthin zu verlagern, gab es schon vorher. Diesen größeren deutschen Zusammenhang könnte man bewußtmachen. Ich meine natürlich nicht Zubauen, von wegen unten Daimler und drüber die deutsche Regierung. Es darf keine neue Nord-Süd-Achse entstehen, die deutsche Power zeigt.

Und wie wollen Sie den Marx- Engels-Parkplatz wiederbeleben?

Der Raum ist viel zu groß. Wahrscheinlich ist eine Bebauung in geschickter Anbindung und Konterstellung zum Palast und mit einem möglichst öffentlichen Gebäude eine Idee, die man prüfen sollte. Ich plädiere für eine kommunikative kulturelle Mitte. Das Gespräch führten Hans- Hermann Kotte und Ute Scheub

Bruno Flierl, Jahrgang 1927, wurde als Chefredakteur der Zeitschrift 'Deutsche Architektur‘ wegen kritischer Äußerungen nicht lange geduldet und war ab 1980 Dozent für Theorie und Geschichte des Städtebaus an der Humboldt-Universität. Ab 1989 arbeitete er in der Stadtplanergruppe »9. Dezember« mit, heute sitzt er im »Stadtforum«.