Hilfe wer stellt die Konditionen?

■ Immer, wenn in der Welt Menschen an den Folgen von Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Hunger sterben, schwanken die Reaktionen in der industrialisierten Welt zwischen Fatalismus und Hilfsbereitschaft.

Hilfe — wer stellt die Konditionen? Immer, wenn in der Welt Menschen an den Folgen von Wirbelstürmen, Überschwemmungen oder Hunger sterben, schwanken die Reaktionen in der industrialisierten Welt zwischen Fatalismus und Hilfsbereitschaft.

Die Regierung von Bangladesch weiß es ganz genau: 138.868 Menschen sind bisher bei der Sturmkatastrophe ums Leben gekommen. Von einer Million spricht dagegen Oppositionsführerin Hasina Wased. Die im Land aktiven internationalen Hilfsorganisationen gehen von 200.000 bis 500.000 Opfern aus. Hinter jeder Zahl steckt ein anderes Kalkül: Die erst seit Februar amtierende Premierministerin Khaleda Zia will beweisen, daß sie den Überblick behalten hat, die Opposition will ihre Forderung nach Rücktritt der Regierung untermauern und somit nachträglich die Wahl gewinnen. Die Hilfsorganisationen sehen sich außerstande, genaue Zahlen anzugeben, und verdeutlichen damit ihre eigene Hilflosigkeit.

Für die hohen Opferzahlen in Bangladesch wird in den Medien oft die „Überbevölkerung“ verantwortlich gemacht: Millionen Landlose würden verantwortungslos Kinder in die Welt setzen und sich auf flutgefährdeten Inseln niederlassen. Kaum wird jedoch auf die Militärdiktaturen verwiesen, die in zwanzig Jahren Unabhängigkeit 50 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe erhielten und doch das Land in die Verelendung führten.

Nicht nur in Bangladesch ist eine Unsicherheit über tatsächliche oder drohende Opferzahlen sowie ihre Ursachen zu verzeichnen. 20 bis 27 Millionen Afrikaner sind derzeit vom Hunger bedroht, darunter fünf bis elf Millionen im Sudan und sieben Millionen in Äthiopien. Im allgemeinen werden die Bürgerkriege in diesen Staaten sowie in Angola, Liberia, Mosambik und Somalia dafür verantwortlich gemacht. Doch auch in den nicht kriegsgeschüttelten Sahel-Staaten herrscht Nahrungsmittelknappheit. Hier wird der Hunger meist durch Bevölkerungsdruck erklärt, ohne näher auf die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen einzugehen, die ganze Völker in die Migration zwingen. Und längst ist erwiesen, daß die klimatischen Faktoren von den politischen nicht zu trennen sind: Trockenheit und Erosion werden genauso von agrarpolitischen Entscheidungen verursacht wie vom Wetter. Landflucht und falsche Bodennutzung wirken auf das Mikroklima zurück und verschlechtern die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen.

Auch der Vormarsch von Cholera, Malaria, Masern, Durchfallerkrankungen und Aids in Afrika, den unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO konstatiert, ist vor allem eine Folge von Armut und Instabilität. Zu den Hauptverbreitern von Aids gehören die Armeen der afrikanischen Staaten, deren Soldaten zum großen Teil infiziert sind und Vergewaltigung als Kriegsmittel praktizieren.

Angesichts der gegenwärtigen Häufung humanitärer Notfälle — von den Sturmfluten in Bangladesch über Hunger und Seuchen in Afrika, kurdischen Flüchtlingen im Nahen Osten bis zur Cholera in Südamerika — wird es für Regierungen und internationale Organisationen immer schwieriger, das Ausmaß und die Folgen von „Naturkatastrophen“, Hungersnöten, Seuchen und Kriegen in der Dritten Welt abzuschätzen und entsprechende Strategien zu entwickeln. Gleichzeitig wächst in den Industriestaaten die Furcht vor Flüchtlingsströmen und politischer Instabilität im Süden. So verlagert sich die Diskussion, wie Epidemien und Hungersnöte verhindert werden können, zunehmend von der Ebene der Organisation von Soforthilfe und seuchenhygienischer Maßnahmen auf die Ebene der politischen Einflußnahme.

So hat die neue UN-Flüchtlingshochkommissarin, Sadako Ogata, bei ihrem Amtsantritt auf die Notwendigkeit hingewiesen, „flüchtlingsproduzierende“ Staaten zur Verantwortung zu ziehen. In Kreisen der UNO und des US-Kongresses wird überlegt, Ausgleichszahlungen von Staaten zu verlangen, deren Bürger das Land verlassen und damit anderen Ländern „zur Last fallen“. Das UNHCR könnte dann die Möglichkeit erhalten, solchen Staaten gemeinsam mit der Weltbank Programme vorzuschlagen, die zur Verminderung von Flüchtlingsströmen führen. Solche Überlegungen werden derzeit im Falle der ruandesischen und burundischen Flüchtlinge in Ostafrika erprobt. In diesem Zusammenhang sind auch die jüngsten Äußerungen der Weltbank zu sehen, Kreditvergaben in der Dritten Welt an die Höhe der Sozialausgaben des jeweiligen Landes koppeln zu wollen.

Gerade die Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank haben jedoch in der Vergangenheit zu den Problemen beigetragen, deren Folgen sich jetzt in Form von „Katastrophen“ niederschlagen. Das Bruttoinlandsprodukt ging pro Kopf in Afrika während der 80er Jahre um 40 Prozent zurück. Die Direktinvestitionen von außen fielen um mehr als die Hälfte. Auch die Budgets für Bildung und Gesundheit wurden in den afrikanischen Staaten im Durchschnitt um ein Drittel gesenkt. So läßt sich schwer begründen, daß die gegenwärtigen Erscheinungen von Hunger, Armut und Seuchenausbreitung allein den Regierungen der Dritten Welt anzulasten sind. Dominic Johnson/

Jutta Lietsch