Zakho begrüßt die kurdischen Heimkehrer

■ Die kurdischen Flüchtlinge kehren aus der Türkei in den Irak zurück. Auf Lastern werden sie in ihre Heimatorte gebracht. Am Montag machte sich ein UN-Hilfskonvoi auf den Weg ins irakische Dahok...

Zakho begrüßt die kurdischen Heimkehrer Die kurdischen Flüchtlinge kehren aus der Türkei in den Irak zurück. Auf Lastern werden sie in ihre Heimatorte gebracht. Am Montag machte sich ein UN-Hilfskonvoi auf den Weg ins irakische Dahok. Mitfahrende Journalisten wurden zurückgeschickt.

Rumpelnd müht sich der Laster hügelabwärts. Jedesmal, wenn er sich in eine besonders tiefe Furche legt, kreischen die Frauen auf der Ladefläche, kegeln Kinder und Bündel durcheinander. Heute morgen haben diese fünf kurdischen Familien im Flüchtlingslager Cukurca ihre Zelte abgebaut, ihre wenige Habe zusammengepackt und den Laster bestiegen. Nach zwei Monaten Lagerleben geht die Reise nun wieder heimwärts, in Richtung Irak.

Zehntausende sind in den letzten drei Tagen zurückgekehrt. Die Lager leeren sich fast so schnell, wie sie sich vor zwei Monaten gefüllt haben. Neben den Lastern bahnen sich schwerbeladene Autos mit zerschlagenen Scheiben, bepackte Esel und Wanderer mit Rucksack einen Weg auf dieser holprigen, staubigen Piste vom Grenzpunkt Üzümlü in Richtung Zakho. Kurz hinter den türkischen Grenzern, die jeden Versuch der Kontrolle aufgegeben haben, ein Checkpoint der Peschmerga: Bis an die Zähne bewaffnete junge Männer sehen die Ausweise der Familienoberhäupter ein. Einen irakischen Grenzposten gibt es nicht.

„Wie sieht es in Dahok aus“, fragen die Reisenden. Auf die Antwort, die irakische Armee sei noch immer dort, verdüstern sich die Gesichter. „Solange Saddams Leute dort sind, gehen wir nicht zurück“, versichert Nazdar. „Er bringt uns um.“ Nazdar ist 23 und hat in Dahok als Lehrerin gearbeitet. „15 Tage lang sind wir damals gelaufen, Tag und Nacht. Es hat geregnet und geschneit, und wir hatten bald nichts mehr zu essen. Und dabei immer die Angst im Rücken.“ Acht Geschwister hat Nazdar. Sie quetschen sich hier auf den Bündeln, hinten sitzen ihre Eltern, gefaßt, ein bißchen glücklich, ein bißchen skeptisch. „Wir haben auch jetzt noch Angst“, erklärt Nazdar, „eigentlich wollten wir erst zurück, wenn Saddam gegangen ist.“ Die Sonne brennt, die Passagiere halten ein Nickerchen. Als der Brummer die Asphaltstraße nach Zakho erreicht, sind alle plötzlich hellwach. Lehnen sich über die Seitenwände der Ladefläche, suchen nach ersten Merkmalen ihres Landes. Ihre Reise ist nun nicht mehr weit — ein paar Kilometer bis nach Kani Masi, wo die Briten ein Zeltlager errichtet haben. „Unser Haus in Dahok ist so schön“, erinnert sich Nazdar, plötzlich melancholisch geworden, „und wir können noch immer nicht zurück.“

Kani Masi, idyllisch im Tal gelegen, ist eins der vielen Dörfer in der Grenzregion, die Saddam Hussein hat schleifen lassen. Einzig die Schule ist stehengeblieben. Darin haben die Peschmerga ihr regionales Hauptquartier eingerichetet. „Wir erwarten, daß die Alliierten innerhalb einer Woche in Dahok einziehen“, hatte Dr. Kemal Karkuki, politischer und militärischer Peschmerga-Chef der Region Dahok, am Freitag erklärt. Ein führender US-Militär hatte am Tag danach hinzugefügt, die Peschmerga hätten gedroht, selber in Dahok einzureiten, falls die Alliierten es nicht täten. „Doch wir haben ihnen versprochen, daß wir dann die Region sofort verlassen.“

In Zakho ist der Teufel los

In Kani Masi ist Nazdars Reise vorläufig zu Ende. Fast 20.000 sind in den vergangenen Tagen hier gestrandet. Die Wasserversorgung ist schlecht und das Essen knapp. Doch britische Marines und ein ganzes Kontingent Freiwilliger haben eine Sanitätsstation eingerichtet. Dort stehen die Frauen mit ihren dünnen, durchfallkranken Kindern Schlange. Die meisten dieser Flüchtlinge kommen aus Dahok und warten nur auf eins: daß Saddams Truppen die Stadt verlassen und die Alliierten einziehen. Kani Masi, nur als Zwischenstation gedacht, ist zu einem neuen Lager geworden. Und es wird ständig größer.

Während Nazdar traurig vom Laster steigt, springt Raschid strahlend ab. Raschid kann heute nach Hause — er stammt aus Zakho. Zwei Peschmerga steigen zu und eine Horde junger Männer. Sie wollen nach Dahok — als Botschafter ihrer Familien auskundschaften, wie dort die Lage ist. Der Kleinbus in Richtung Zakho platzt aus allen Nähten. Raschid wettert gegen Saddam, und seine junge Frau Melka — sie ist gerade mal 17 — entgegnet, sie hätten mal lieber kämpfen sollen, als im nachhinein zu meckern. Den Rest der Fahrt über sagt sie nichts mehr, schaut nur mit sanften, neugierigen Kinderaugen die jungen Männer an. Die unterhalten sich über die Vorzüge deutscher Fußballstars, bis einer Lieder des verbotenen kurdischen Politsängers Schiwan singt. Da werden die Augen der Peschmerga feucht, der Sänger sagt: „Mein Herz fliegt davon, ich kann nicht mehr aufhören zu singen.“

In Zakho ist der Teufel los. Die Straßen wimmeln von Rückkehrern mit Bündeln auf dem Rücken. Raschids Augen leuchten, überall muß jemand begrüßt werden. In seinem Viertel stehen Frauen in langen Hemden auf der Straße und umarmen Melka und die Familie, die Kinder des Bruders werden in Augenschein genommen. Raschids Eltern sind im Lager geblieben — sie fürchten die beschwerliche Reise. So geht der erste Weg zur Großtante, einer alten Dame mit hennagefärbten dünnen Zöpfen, die sie umarmt. Eine Zinkschale mit kühlem Wasser wird herumgereicht, dann dürfen Raschid und seine Familie nach Hause. Der große Bruder ist bereits vor zwei Tagen zurückgekehrt. In seinem Haus liegen Kissen auf dem Boden. Dort setzen sich die Heimkehrer, es wird gleich Alltag hergestellt. Ein halbes Dutzend Kinder sitzt herum und kichert leise, Melka heizt den Badeofen ein und kommt bald in ein sauberes langes Hemd gekleidet zurück. Zum Abendessen gibt es Reis und gefüllte Weinblätter und etwas Fleisch. Raschid und der Besuch essen zuerst, danach die übrigen Männer. Was übrigbleibt, bekommen die Kinder und die Frauen. Raschid selbst wohnt im Nebenhaus, mit einem anderen Bruder und seinen Eltern. Vor dem Golfkrieg verschob er gebrauchte Fernsehgeräte in die Türkei und tauschte sie gegen andere Waren ein. Einen Teil des Bestands an Fernsehern haben Plünderer mitgehen lassen, das Haus ist staubig und verwahrlost. In einem Zimmer werden Matratzen ausgelegt für die beiden Ehepaare und fünf Kinder, die Journalistin bekommt die Hochzeitsmatratze. „Ich werde nicht schlafen können auf diesen Matratzen“, sagt Raschid. „Nach Wochen auf dem Erdboden sind die viel zu bequem.“

Am nächsten Morgen schenkt Melka mir zum Abschied die einzige blühende Rose im Hof. „Dies Haus ist dein Haus“, sagt Raschid. So wie er zu den Alliierten sagt: „Dies Land ist euer Land. Bitte geht nicht weg. Sonst müssen wir wieder in die Berge fliehen.“ Antje Bauer, Zakho