Atomwirtschaft bedrängt die SPD

■ Bei der Jahrestagung Kerntechnik wird heftig am „energiepolitischen Konsens“ gedreht/ Opposition soll Widerstand gegen Atompläne der Regierung aufgeben/ Endlager Morsleben bis zum Jahr 2000

Bonn (taz) — Die deutsche Atomwirtschaft verlangt die Aussetzung parlamentarisch-demokratischer Spielregeln für den Bereich der nuklearen Stromerzeugung — und eine politische Sonderbehandlung, die sonst nur fremden Staaten zuteil wird.

Zur Eröffnung der „Jahrestagung Kerntechnik“ erklärte der Präsident des „Deutschen Atomforums“ und Interatom-Geschäftsführer, Claus Berke, gestern in Bonn, die jeweilige Opposition solle atomrechtliche Genehmigungen der Regierung — also zum Beispiel zum Bau neuer Atomkraftwerke — für den Fall eines parlamentarischen Machtwechsels tolerieren. „Ähnlich wie bei völkerrechtlichen Verträgen“ müsse die Opposition bei „sich nur langfristig rechnenden Investitionen in der Wirtschaft“ die Entscheidungen der Vorgängerregierungen hinnehmen und dies auch von vornherein zusagen.

Berke verband seine namentlich an die SPD gerichtete Aufforderung mit der kaum verhüllten Drohung, ansonsten fühle sich die Stromwirtschaft nicht länger an die im sogenannten Jahrhundertvertrag festgelegten „Kohleverstromungszusagen“ gebunden. Mit dem Vertrag, der 1995 ausläuft, garantiert die Stromwirtschaft dem Bergbau an Ruhr und Saar bisher die Abnahme bestimmter Förderquoten ihrer im internationalen Vergleich sündhaft teuren deutschen Steinkohle. Führende Vertreter der Stromwirtschaft hatten in den vergangenen Wochen Anträge zum Neubau von zwei Reaktorblöcken in den neuen Bundesländern von der Zustimmung der SPD abhängig gemacht. Ausdrücklich lobte Berke in diesem Zusammenhang den Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) und SPD-Bundestagsabgeordneten, Hans Berger, der sich kürzlich für den AKW-Neubau in den neuen Bundesländern ausgesprochen hatte.

Der Präsident des Atomforums glaubt, daß „in dieser Zeit die Weichen für die zukünftige Energieversorgung Deutschlands“ gestellt werden. Zwar sei die Stromnachfrage in der ehemaligen DDR seit 1989 wegen der Teilstillegung stromfressender Industriezweige um über 25 Prozent zurückgegangen. Dies sei aber kein Dauerzustand. Im Gegenteil, zum Ende des Jahrzehnts drohe „eine fühlbare Stromlücke“, die es mit zwei 1.300-Megawatt-Blöcken zu füllen gelte.

Entgegen früheren Äußerungen aus der Atomzunft warnte Berke die Bundesregierung vor der von ihr anvisierten Novellierung des Atomgesetzes. Dafür sei nun, wo es um Entscheidungen gehe, nicht der richtige Zeitpunkt. Eine Novellierungsdebatte werde nur wieder „zu langfristigen Kontroversen und Verhärtungen“ führen.

Das umstrittene DDR-Atommüll- Endlager Morsleben kann nach Ansicht des Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Alexander Kaul, seinen Betrieb wieder aufnehmen. Zu diesem Ergebnis komme ein von der „Gesellschaft für Reaktorsicherheit“ (GRS) im Auftrag von Bundesumweltminister Klaus Töpfer erstelltes Sicherheitsgutachten, sagte Kaul bei der von etwa tausend Vertretern der Atomwirtschaft und Forschung besuchten Jahrestagung. Danach können alle zur Absicherung der Anlage notwendigen Maßnahmen auch während des Betriebs der Anlage durchgeführt werden. Dabei gehe es unter anderem um „Injektionen zur Vermeidung von Laugeneinbrüchen“ in den Salzstock. In Morsleben wird aufgrund einer Anordnung Töpfers und einer vorläufigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg derzeit kein Atommüll eingelagert.

Schwere Vorwürfe gegen die Landesregierungen von Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein erhob der Geschäftsführer der für die Endlagerprojekte von Gorleben und Schacht Konrad zuständigen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern, Jürgen Lempert. Dort hätten Politiker das Sagen, „die aus strategischen Interessen den Entsorgungsnotstand herbeiführen“. Dies sei schlicht „verantwortungslos“, giftete Lempert. Gerd Rosenkranz