Das Zäpfchen als Stuka-Bombe

■ »Pharma-Propaganda« — eine medizingeschichtliche Ausstellung in Lichterfelde

Still, friedlich und lila liegt das Fingerhut-Feld da, wie auf einem alten Stich. »Gleichmäßige Wirkung, dauernde Haltbarkeit«, preist die Digitaliswiese das Herztonikum »Digipuratum«.

Mit den bohrenden Blicken des Wissenschaftlers durchleuchtet der Weißkittel das halbvolle Harnglas. »Klar bis auf den Grund«, durch das Harndesinfiziens »Arctuvan«. Hippokrates zwischen Klassik und Moderne.

Wie Stuka-Bomben finden die Zäpfchen ihr Ziel im Stammhirn — gegen Reiseübelkeit. »Nautisan wirkt auf das Brechzentrum«. Das Medikament im Luftkampf um die biologische Norm, gegen die Ausfälle durch Zivilisation.

Die Arznei-Werbebeillagen aus den 20er, 30er und 40er Jahren, die das Institut für Geschichte der Medizin, Lichterfelde, in einer kleinen Ausstellung zeigt, sollen die Entwicklung der »Pharma-Propaganda« verdeutlichen, die sich direkt an die Ärzteschaft wendete. Sie thematisiert auch das in dieser Werbung verwendete Bild vom Arzt und die medizinische Problematik einiger Präparate, besonders die mögliche Abhängigkeit von den kleinen bunten Helfern. Alle Beispiele der Ausstellung entstammen der 'Wiener Klinischen Wochenschrift‘ aus der Zeit von 1923 bis 1941.

Von der farblosen chemischen Information in Form der biederen, bilderlosen und seriösen Zeitungsanzeige entwickelte sich die Beilage zum knalligen Mini-Poster, vereinfachend wie das politische Plakat. Vom DIN-A-4-Format zum aufwenigen Faltblatt mit Betellpostkarte für Pröbchen. Ab 1924 wird immer mehr Wert auf Abbildungen gelegt. Da purzeln zunächst niedlich die Kinder-Durchfall-Tabletten »Eldoform« aus der ihrer Röhre, werden die Fläschen mit dem Stoffwechselstimulans »Tonophosphan« in einer Schatulle präsentiert wie wertwolles Familiensilber, sitzt die standesbewußte und genußsüchtige Ärzteschaft fett und zigarrenrauchend im Sessel und diskutiert die Wirkungsweise der Hämmorhoidenzäpfen »Anusol«.

Während der 30er Jahre werden die Beilagen griffiger und fotolastiger gestaltet, da verkneift ein unter Verstopfung Leidender großformatig das Gesicht, wirbt eine vom Kopfschmerz zerknitterte Frauenstirn für das Schmerzpräparat »Novalgin«, einen Nebenwirkungsklassiker bis heute, der in der BRD erst in den späten 80er Jahren aus dem Handel gezogen wurde.

Weil dem Arzt mit der steigenden Zahl der Fertigpräparatre eine Schlüsselstellung beim Pillenabsatz zukam, wurde die Beilagenwerbung immer aufwendiger: Schon 1930 schüttete die Firma Merck allein die 50.000 Ärzte in Deutschland mit Werbebeilagen in einer Auflage von fast einer Million Exemplaren zu. Auffällig: obwohl sich die Reklame an den Profi in Weiß richtet, wirkt sie für den Laien gemacht, büßt sie schnell ihren Charakter als Fachinformation ein, wird zur bloßen Darstellung der Verpackung — und löst sich schließlich gänzlich vom Produkt.

Der Arzt ist — ganz im Gegensatz zu seinem Bild in der Öffentlichkeit — zur Manövriermasse der der expandierenden Pharmaindustrie degeneriert, die vom Glauben an die Naturwissenschaft und die Chemie profitiert: von den großen medizinischen Erfolgen wie der Entdeckung des Penicellin. Jetzt gibt es nur noch Optik statt Angaben über Zusammensetzung, Medikation und Nebenwirkungen. Im dritten Reich schließlich steht ganz der gesunde Volkskörper im Mittelpunkt, der auffälligste Einschnitt in der Entwiclung der Arznei- Werbung, auf die Regierung und Partei besondere Augenmerk richteten. Vom Kleinkind über den Jüngling zum Krieger wickelt sich da der kleine Nazi einer Lanze hoch. Ohne eingefallene Hühnerbrust natürlich, dafür sorgt »Vigantol«, das Anti-Rachitismittel zum »Aufbau des wachsenden Organismus«. Da liegt das Gallenmittel auf dem deutschen Familientisch, Kraft durch Freude bei Frühstück Mittag, Abendbrot. Verhütungsmittel wie die »Pesoletten« durften nicht mehr vertrieben werden, Werbung für Kontrazeptiva wurde fast ganz verboten. Dafür begleitet das Hormonmittel »Östrozyl« die deutsche Frau durchs Leben: »Mädchenzeit, Mutterschaft, Menopause, Matronentum«. Immer wieder finden sich in den bunten Anzeigen der Biologismus und der Sozialdarwinismus des Regimes wieder.

Als »Pharma-Propaganda« wurde die Arzneimittelwerbung schon 1930 vom zeitgenössischen Pharmakologen Wolfgang Heubner (1877 - 1957) kritisiert. Er sah viele Probleme der massenhaften Arzneimittelherstellung voraus: Überproduktion, Marktschwemme, Produktähnlichkeit, Wachstumszwang. Aber auch die leichte Täuschbarkeit der Kunden und die Gefahr der Medikamentenabhängigkeit. Heubner gründete bereits 1911 die »Arzneimittelkomission der deutschen Ärzteschaft«, um dem Arzneimittelunwesen durch Aufklärung entgegenzutreten. Die Antrittsrede des Professors 1930 in Heidelberg kann der Besucher in der Mitte der Ausstellung (der man mehr Platz und eine zentralere Lage wünscht) in Ausschnitten lesen: »Wer es versteht, den richtigen Zauber zu machen, kann auch heute noch in weiten Kreisen nahezu jedes beliebige Mittel als etwas besonders wertvolles erscheinen lassen und dementsprechend seine Preise gestalten. (...) Kein Mensch und daher auch keine Vielzahl von ihnen kann beliebig viel Brot vertilgen als es dem naturgesetzlich bestimmten Kalorienbedarf entspricht. Für Arzneimittel aber besteht ein größerer Spielraum (...)«

Heubner erkannte schon damals, daß auf die Pillenherstellung nur ein Viertel der Kosten entfallen auf die »Propaganda« aber drei Viertel. heutzutage allerdings geben sich die Pharmahersteller nicht mehr mit bunten Beilagen in medizinischen zeitschriften ab. Sie geben selbst Zeitschriften heraus und rücken den Ärzten mit ihren »Drückern«, den vornehm sogenannten Pharmareferenten auf die Praxis. Die haben nicht nur Gratis- Proben und kleine Geschenke zu bieten sondern bestechen auch gern mit schönnen Reisen um die Welt. Hans-H. Kotte

Institut für Geschichte der Medizin, Klingsorstr. 119, 1/45, Mo bis Do 9 bis 16 Uhr. Fr 9 bis 14 Uhr, am Wochenende geschl. Noch bis 20.6.