WIR LASSEN LESEN: Wer ist Albert Brülls?
■ Der fleißigste Bundesliga-Lieferant unter den Fußball-Regionalligen bekam ein Buch gewidmet
Es muß irgendwann im Jahr 1971 gewesen sein, so genau läßt sich das nicht mehr rekonstruieren. Auf jeden Fall war es ein dunkler, regenverhangener Tag, als ich zum ersten Mal mit meinem Vater auf der Tribüne des Stadions am Schloß Strünkede in Herne saß. „Und das da“, erklärte er mir und deutete auf einen kleingewachsenen Spieler, dessen schwarz-gelb gestreiftes Trikot des VfR Neuß sich über einen schon beachtlichen Kugelbauch spannte, „das ist Albert Brülls.“ Mein Vater schien beeindruckt, aber selbst sein Hinweis, daß dieser Albert Brülls 1966 bei der Weltmeisterschaft in England dabeigewesen wäre, wollte meine Hochachtung nicht steigen lassen.
Der Rest aber gefiel mir. Das Stadion mit der großen Tribüne erschien beeindruckend groß, die vielleicht 2.000 Zuschauer bildeten eine übersichtliche und kaum beängstigende Kulisse. Die Blau- Weißen, die „ruhmreiche Westfalia“, mein Vater sagte das aber wirklich auch immer so, das waren unsere. Und nach den ersten neunzig Minuten in einem Fußballstadion war eine wegweisende Entscheidung meines Lebens getroffen: Ich wollte Fußballfan werden.
Das Spiel zwischen Westfalia Herne und dem VfR Neuß, das diesen folgenschweren Entschluß nach sich zog, fand in der Regionalliga West statt, die von 1963 bis zu ihrer Ablösung durch die zweite Bundesliga Nord im Jahr 1974 in Nordrhein-Westfalen die zweite Klasse unter der Bundesliga bildete. Aus keiner anderen Regionalliga wurde die Bundesliga mit so vielen Aufsteigern beliefert, zwölf von insgesamt 22 Aufsteigern kamen aus dem Westen.
Borussia Mönchengladbach und Hennes Weisweiler nahmen hier den Anlauf zur europäischen Spitze. Fortuna Düsseldorf, Rot- Weiß Essen und Arminia Bielefeld pendelten zwischen Regionalliga West und Bundesliga. Selbst der Europapokalsieger Borussia Dortmund machte hier seine Ehrenrunden. Und hier begannen viele Spieler, die auch in der ersten Klasse zu Stars wurden: Reiner Geye oder „Meister“ Pröpper, Willi Lippens und Jupp Koitka, Manni Burgsmüller und Günther Netzer.
Noch heute ist daher diese Liga bei Fußballfans im Westen in guter Erinnerung. Seit Jahren gibt es Überlegungen, zumindest die Amateuroberligen Nordrhein und Westfalen zu einer Regionalliga zusammenzulegen. Die Ballung vieler traditionsreicher Vereine im Rhein-Ruhr-Gebiet sorgte nämlich für eine große Zahl von Lokalderbys, die nach der Einführung einer zweigeteilten und später bundesweiten 2. Liga langweiligen Fernduellen weichen mußten. Mit dem ersten Band einer zweiteiligen Geschichte der Regionalliga West unter dem Titel Bauernköppe, Bergleute und ein Pascha werden einige dieser Erinnerungen wieder aufgerührt.
Von 41 Vereinen, die in der Regionalliga West spielten, werden 21 porträtiert. Neben den großen auch ganz kleine wie der VfL Klaefeld-Geisweid oder der VfB Bottrop. So unterschiedlich die Geschichten, so unterschiedlich ist leider aber auch die Qualität der Beiträge der verschiedenen Autoren. Manche Texte verweigern sich in ihrer Altbackenheit und Langeweile fast der Lesbarkeit. Häufig sind sie nur zäh heruntergezählte Anekdotensammlungen.
Die besondere Atmosphäre der Regionalliga West versuchen leider nur wenige Autoren zu beschreiben. Auch der Anhang mit den Abschlußtabellen und der schlichten Auflistung aller Spielernamen, ohne Vornamen oder andere Informationen zu nennen, ist enttäuschend. Da ist beim zweiten Band einiges gutzumachen.
Westfalia Herne ist in der letzten Saison in die Viertklassigkeit abgestiegen — zum ersten Mal seit es den Verein gibt. Aber das ist eine ganz andere, traurige Geschichte. Christoph Biermann
Uli Homann (Hg.): Bauernköppe, Bergleute und ein Pascha. Die Geschichte der Regionalliga West.— 152 Seiten. — Klartext-Verlag Essen.
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