Groteskes zur Hauptstadtfrage

■ Über den Vorschlag, Regierung und Parlament zu trennen

Groteskes zur Hauptstadtfrage Über den Vorschlag, Regierung und Parlament zu trennen

Der Disput um die Hauptstadt ähnelt immer mehr dem Versuch eines Streetworkers, zwei Straßengangs von den Segnungen eines friedlichen Konsenses zu überzeugen. Während im Zentrum der Kuhhandel blüht, fallen am Rande schon wieder die Bandenmitglieder übereinander her. So flattert ein Fax der Bonn-Lobby von Matthäus-Maier, Blüm, Baum und Ehmke auf den Tisch, in dem düster angedeutet wird, daß womöglich die PDS das Zünglein an der Waage sein könnte bei einer Entscheidung für Berlin. Ein Fall für die wehrhafte Demokratie also? Und jetzt die CDU- Idee, das Parlament geht nach Berlin, und die Regierung bleibt in Bonn. Der Berliner Bundessenator hat schon signalisiert, daß Berlin damit leben könne. Also auf zur nächsten lobbyistischen Schlacht, bei der es dann um die Details gehen wird. Es ist wohl müßig, Würde anzumahnen, müßig, daran zu erinnern, daß die Entscheidung für Berlin nur sinnvoll ist als symbolischer Akt, als ein Bekenntnis zum Neuanfang, zur großen Veränderung, als ein Zeichen, daß es um die Vereinigung und nicht um das Management des armen Ostens geht.

Man staunt jedenfalls, wie grotesk die Idee Dezentralisierung verbogen werden kann. Da wird uns die Trennung von Regierung und Parlament gewissermaßen als verschärfte Gewaltenteilung vorgestellt. Terminliche Probleme werden mit dem Hinweis auf die modernen Kommunikationsmittel und die Hochgeschwindigkeitszüge abgefertigt. Vielleicht sollte die Firma Sony beauftragt werden, die Technik der Tele-Konferenz zu perfektionieren und ein Tele-Parlament oder eine Tele-Regierung zu entwickeln. Parlamentarische Ausschußarbeit vom Eigenheim aus, der Hausherr bei der legislativen Mühe, während die Gartenparty weitergeht? Solche Vorschläge zeigen, wie gering die Apologeten der „funktionierenden Demokratie“ die Demokratie selbst einschätzen. In einer Demokratie braucht die Regierung die direkte, auch die persönliche Konfrontation mit dem Parlament. Ohne einen öffentlich identifizierbaren Raum der Konfrontation von Exekutive und Legislative bleibt die politische Leidenschaft auf der Strecke, ohne die die Demokratie abstirbt. Bei dieser Trennung würden in Berlin die Fensterreden gehalten und Bonn regiert werden. Und die demokratische Kontrolle? Per Fax? Was sich mit diesem Vorschlag anbahnt, ist schlicht die Verprovinzialisierung und Entdemokratisierung auf technisch höchstem Niveau. Klaus Hartung