Wurzeltiefe Analyse

■ Sybille Simon-Zülch über „buten & binnen“ — taz v. 11.5.91

Werte Kritikerin, daß Sie, wie alle Menschen über 35, zur Idealisierung der Vergangenheit neigen, ist nicht überraschend, ist entschuldbar und uns allen eigen...

daß sich ihr historisches Bewußtsein im wesentlichen an marginalen Äußerlichkeiten der Sendung „buten & binnen“ festmachen läßt, eint Sie mit der übrigen Journallie dieser Stadt und nicht nur dieser...

Daß Sie manche Fragen stellen ist gut.

Daß Sie jedoch gewisse Fragen nicht stellen ist nicht gut:

daß Sie — in Idealisierung der Vergangenheit — den Blick dafür vernebeln, wie denn Gegenwart sich entwickeln konnte, wer wann wofür Entscheidungen getroffen haben muß und heute zu verantworten hat, das bestätigt die Einschätzung, die Sie als Kritikerin in den Sie wahrnehmenden Kreisen zu verfestigen Gefahr laufen: einem Gag zuliebe opfern Sie innere Zusammenhänge, und damit einen wesentlichen Teil der Redlichkeit in der Darstellung ihres Themas. Ich achte Ihre Arbeit und bedaure deshalb diese Entwicklung. Den Zeilenplatz zur wurzeltiefen Analyse (Nein, von der Wahrheit rede ich bewußt nicht), der — auch Vergleiche zulassenden — Entwicklung dieses Programms hätten Sie gehabt. Die entsprechenden Kenntnisse Ihnen nicht zu unterstellen, hieße, S. S.-Z. unterschätzen. Warum haben Sie den Platz nicht genutzt?

Stattdessen: u. a. läppische Hinweise, z. B. auf die Vornamen der Nachrichtensprecher. Das war zu „Micky's“ und „Christians“ Zeiten keinen Deut anders und auch damals schon von der üblichen Peinlichkeit der Birkenstock-Sandalennähe des „Bremer DU's“ garniert, deren sonstige Äußerungsformen bisweilen auch von Ihnen begrüßt wurde... Es kann nicht nur am Weggang von ..., am Rückzug von... liegen, schreiben Sie. Warum ist denn der eine weggegangen, und wohin...? Und was heißt Rückzug, wohin? Wer soll denn, nach vorne gedacht, mit diesem Ihrem „Rüffel, erteilt im Vollgefühl moralischer Überlegenheit“ — (Zitat frei nach S. S.-Z.) noch konstruktiv umgehen, wenn Sie das vergessen lassen, was Sie andernorts einklagen? Auf diese taz Seite hätte mehr gepaßt...

Gerhard Widmer, Mathildenstr., Bremen