Keine Fahrkarten für die Ukrainer

■ Ein Symposium der ukrainischen Minderheit in Krakau

Früher hatten sie eine eigene Zeitschrift, die zensiert wurde, und sie hatten Vereine, die von der Geheimpolizei kontrolliert wurden. Sie waren verstreut über das ganze Land. Von Polens Armee waren sie in der großen „Aktion Weichsel“ 1946 aus ihren heimatlichen Wäldern vertrieben und in den polnischen Westgebieten zwangsangesiedelt worden. Ihr Zusammenhalt war deshalb immer sehr locker, ihre Interessen entsprechend schwer durchzusetzen. Und die polnischen Vorurteile gegen die Ukrainer waren noch hartnäckiger als die gegen die deutsche Minderheit. Daran hat sich nichts geändert, die Teilnehmer des Internationalen Ukrainersymposiums, das letzte Woche an der Krakauer Jagiellonen-Universität stattfand, konnten sich davon selbst überzeugen, anhand einer Photoausstellung vom Kirchenkonflikt in Przemysl.

In Przemysl hält eine kleine Gruppe polnischer Katholiken seit Wochen eine Kirche besetzt, die das Episkopat und der Papst für einige Jahre der immerhin ebenfalls katholischen, nämlich griechisch-unierten Kirche überlassen wollten. Die aber ist die Nationalkirche der Ukrainer und der ukrainischen Minderheit in Polen. „Ukrainer ab in die Ukraine“, steht auf den Häuserwänden in Przemysl, Galgen sind dazugemalt. Und auch auf dem Symposium ging es aggressiv zu, obwohl ja eigentlich Wissenschaftliches auf der Tagesordnung stand. „Warum redet ihr nicht über diese ukrainischen Viecher, die unseren Verwandten die Köpfe abgeschnitten haben?“ ging eine alte Dame in der Pause den ukrainischen Abgeordneten im Sejm und Veranstalter des Treffens Wlodzimierz Mokry an.

Doch Mokry ist einer der ersten, der — wie es ein polnischer Teilnehmer später ausdrückte — „nach Harvard gefahren ist und die ukrainischen Historiker gefragt hat, warum sie immer nur über Mazeppa und nicht über den Zweiten Weltkrieg schreiben.“ Im Zweiten Weltkrieg hatten viele ukrainische Nationalisten in eigenen SS-Verbänden Polen, Juden und Russen massakriert, nach dem Krieg noch hatten sich ukrainische Freischärler mit der neuen kommunistischen Staatsmacht in Polen und der Ukraine blutige Auseinandersetzungen geliefert. Ein Thema, das besonders von der ukrainischen Emigration in den USA und Kanada lange gemieden wurde. Stattdessen ließ man sich dort gerne über die Verfolgung der Ukrainer vor und nach dem Krieg durch Polen aus.

Diese Zeiten scheinen nun zu Ende zu gehen. Wie einer der demokratischen Abgeordneten des ukrainischen Obersten Sowjet erklärte, plane die ukrainische Unabhängigkeitsbewegung „Ruch“ ein eigenes Symposium über die „Ukrainische Aufstandsarmee“ (UPA). Es ist vor allem die UPA, die von polnischer Seite für die Massaker verantwortlich gemacht wird.

Die Kehrseite der Medaille stellte eine junge Danziger Historikerin vor: die Haltung der polnischen Nationaldemokraten der Zwischenkriegszeit zur ukrainischen Minderheit, die sich auf den Nenner bringen läßt: zu deutschfreundlich, gefährlich wegen der nahen Sowjetukraine. Schlußfolgerung: assimilieren. Das Konzept setzte sich schließlich in den letzten Jahren der Zweiten Republik auch im Regierungslager durch, das nicht nationaldemokratisch war. Worauf sich seit 1930 polnische Armee und ukrainische Nationalisten eine Art permanenten Bürgerkrieg in Südostpolen lieferten.

Daß aber den antiukrainischen Empfindungen in Polen längst nicht nur Historisches zugrundeliegt, machte die Warschauer Literaturwissenschaftlerin Danuta Sosnowska deutlich. Sie wies nach, daß bereits in der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts jene Argumente zu finden sind, mit denen noch heute — oft unbewußt — operiert wird: Dort schon sei von jenem „verdammten Volk des Niemandslandes“ die Rede, den Ausdruck habe sie jüngst erst auf einer Mauer in Przemysl wieder entdeckt. Im polnischen Bewußtsein werde immer noch „die Geschichte zugunsten des Mythos verdrängt“.

Heimliches Hauptthema des Symposiums war indessen die Unabhängigkeitsbewegung in der Ukraine selbst. Wie sehr diese zu kämpfen hat, zeigte ein Blick auf die Zahl der Angereisten: Nur die Hälfte hatte kommen können, der Rest hatte zwar Pässe oder Ausreisegenehmigungen bekommen, aber — heutzutage geht so etwas subtiler — angeblich waren den sowjetischen Eisenbahnern die Fahrkarten ausgegangen. Diskutiert wurde indessen außerhalb des wissenschaftlichen Teils nicht nur über die laufende Politik in der Ukraine, sondern vor allem über Solschenizyn. Sein Konzept einer slawischen Einheit mit Rußland und der Ukraine wurde von den anwesenden Teilnehmern, ganz gleich ob aus Lwow, Kiew oder aus der Emigration, entschieden abgelehnt. Gorbatschow, faßte es ein Teilnehmer aus Lwow zusammen, wolle ein großes Imperium, Solschenizyn ein kleines. „Wenn Jelzin ein demokratisches Rußland will, sind wir mit ihm“, meinte er, „ein Imperium wollen wir nicht.“ Klaus Bachmann