Integration auf dem Sportplatz

■ Seit zehn Jahren resozialisiert der Lüssumer Turnverein straffällige Jugendliche / Fachtagung statt Jubiläumsfeier

Eine Strafe hat auf die weitere Delinquenz eines Jugendlichen keinen Einfluß. Im Gegenteil: Internationale Studien haben gezeigt, daß sich Gefängnisstrafen sogar negativ auf die straffällig Gewordenen auswirken — ganz abgesehen von den stigmatisierenden Effekten, die die Integration der Jugendlichen entscheidend erschweren. Mit diesen Erkenntnissen untermauerte die Bielefelder Soziologin Susanne Karstedt- Henke ihr Plädoyer für Ambulante Maßnahmen im Jugendstrafvollzug. Die Soziologin war neben etlichen anderen Experten auf Einladung des Lüssumer Turnvereins nach Bremen-Nord gekommen. Der Sportverein, seit zehn 0Jahren in der Integrationshilfe engagiert, wollte mit einer Fachtagung dem Vorwurf begegnen, ambulante Maßnahmen hätten einen Verlust an Innerer Sicherheit zur Folge.

Vor genau zehn Jahren hatte der Lüssumer Turnverein (LTV von 1898) sein sozial-, jugend- und jugendkriminalpolitisches Experiment gewagt und die „Abteilung für Integrationshilfen“ gegründet. Knapp 400 Jugendliche hat der Verein seitdem mit den eigens eingestellten SozialarbeiterInnen in Bremen-Nord betreut, denen ohne dieses Modellprojekt Jugendarrest, Jugendhaft oder Untersuchungshaft gedroht hätten. Die sozialpädagogischen Maßnahmen, wie Bremen sie bundesweit vorreitend forciert, sollen den Knast weitgehend ersetzen: Entsprechende Erlasse ermöglichen den Richtern, auf jugendspezifische Straftaten „pädagogisch angemessen“ zu reagieren. Der Richter kann die Jugendlichen in spezielle Übungs- und Erfahrungskurse schicken, ihnen Arbeitsweisungen erteilen oder sie in betreutes Wohnen überweisen. Parallel zu dieser Entwicklung ambulanter Alternativen wurde die Jugendarrestanstalt in Bremen-Lesum geschlossen, wurden (u.a. beim LTV) Beratungsstellen zur Arrestvermeidung eingerichtet.

Die Rückmeldungen aus den Projekten, dies bestätigte Justizsenator Volker Kröning zum zehnjährigen Bestehen der Integrationshilfe des LTV auf der Tagung, zeigten, daß sich die Investitionen lohnen: Die Rückfallquote junger straffälliger Menschen liegt wesentlich niedriger als bei den sonst im Bundesdurchschnitt üblichen 80 bis 90 Prozent. Die Problemgruppe der Mehrfachauffälligen könne damit erfolgreich aufgefangen werden. „Milde zahlt sich aus“, zitierte Kröning einen Kollegen aus Konstanz. Waren Jugendliche strafrechtlich sanktioniert worden, so wurden sie in weitaus kürzeren Intervallen mit meist schwereren Straftaten rückfällig.

Positive Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse zum Konzept Integrationshilfen statt Strafe, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß ambulante Maßnahmen in der Öffentlichkeit nach wie vor unter erheblichem Legitimationszwang stehen. Deshalb müssen alle Beteiligten (Justiz, staatliche Sozialarbeit, freie Träger und die Polizei) in einen „regelmäßigen Dialog“ treten, fordert Justizsenator Kröning.

Die Teilnehmer der Fachtagung, darunter auch der Leiter des örtlichen Polizeireviers in Bremen-Nord, beschlossen dann auch, zur Verbesserung der Integrationshilfe in Bremen-Nord ein Konferenzsystem einzuführen. Damit würde die Polizei — als bisher schärfster Kritiker der ambulanten Maßnahmen — in das Informationsnetz eingebunden.

Die Deutsche Sportjugend, die bisher Sport lediglich im Knast angeboten hat, will künftig ähnlich wie der LTV „Integration durch Sport“ und „Sport statt Strafvollzug“ anbieten. Auch dies ist eines der Ergebnisse der LTV-Tagung, die in die Zukunft weisen. „Sport ist eine gute Ressource“ erklärt Helmut Gass, Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen und Mitbegründer der Abteilung für Integrationshilfen beim LTV, die Idee. Jugendliche würden meist konkret in ihrem Umfeld kriminell. Weit mehr als die Hälfte von ihnen hat soziale Handicaps — abgebrochene Schul-oder Berufsausbildung, keine Lebensperspektive. Andererseits ist die „Anreizstruktur“ zur Kriminalität in dieser Gesellschaft so hoch wie nie: Dem Überangebot von Gütern steht kaum noch soziale Kontrolle gegenüber. „Das erfordert ein Höchstmaß an Disziplin“ sind sich die Kriminalforscher und Soziologen einig. Es ist deshalb auch Aufgabe der Gesellschaft, „ihrer“ Kriminalität auch zu begegnen, jugendliche Straftäter dann nicht einfach in Sanktionierungsinstanzen abzuschieben, sondern ganz im Gegenteil, Defizite der Delinquenten abzubauen.

In Sportvereinen, wie dem LTV mit seinen 1.700 Mitgliedern und zig Unterabteilungen von der Theater-AG bis zur Gymnastikgruppe findet der Jugendliche dann ein soziales Modell, an dem er sich orientieren, in das er sich mit Entwicklung eigener Aktivitäten einordnen kann.

Dabei lernen die Jugendlichen in den Übungs- und Erfahrungskursen beim LTV, sich „mit ihren Mitmenschen auseinanderzusetzen“ und bestimmte handwerkliche Arbeiten auszuführen. Integrationshilfe beim Sportverein hat mit Sporttreiben also wenig zu tun. Auch der Abenteuerdrang der Jugendlichen kann im Rahmen eines Sportvereins unter sozialpädagogischer Anleitung entwickelt werden, ohne damit die Grenzen der Gesetze zu überschreiten, erklärt Integrationsverfechter Gass: „Positive Verhaltensalternativen sind das Ziel.“ ra