KOMMENTARE
: West-östlicher Diwan

■ Bundeskanzler Kohl macht Ostpolitik in den USA

Leicht haben es die Amerikaner mit den neuen Bundesdeutschen derzeit wirklich nicht. Wo die amerikanischen Medien in früheren Jahrzehnten zumindest den jeweiligen Bundesregierungen vorbildliche Junior-Partner-Qualitäten attestierten, herrscht heute Unsicherheit über die politischen Prioritäten in Bonn. Noch kaut man jenseits des Atlantiks eben nicht nur an der deutschen Friedensbewegung im Golfkrieg, sondern auch an den zögerlichen Unterstützungen von Genscher und Kohl, da sorgt der Kanzler bei seinem ersten Besuch DANACH für neue Irritation. Nicht nur zum US-Investment in den neuen ostdeutschen Bundesländern hat er aufgefordert, noch weiter östlich sah er ebenfalls dramatischen Bedarf: Amerikanisches Geld soll auch stärker in die Sowjetunion fließen, Gorbatschow müsse unbedingt unterstützt werden. Trotz aller Bekenntnisse Kohls zur Nato sieht da so mancher Politiker in den USA eine neue Achse im Entstehen und die Westbindung der Bundesrepublik in Gefahr.

Und dem ist mitnichten so. Im Grunde unterscheidet sich die Kohlsche Position zur Entwicklung in der Sowjetunion und speziell zu Gorbatschow nur graduell von der seiner jeweiligen Amtskollegen Reagan und Bush. Angesichts des zunehmenden Verfalls der politischen Strukturen in der Sowjetunion, angesichts von CIA-Prognosen, die für die nächsten fünf Jahre den Rückfall des Landes auf Drittwelt-Niveau vorhersagen, setzen die amerikanische wie auch die deutsche Regierung auf Stabilisierung statt Chaos — und das heißt dann eben trotz zunehmender innerer Opposition gegen Gorbatschow weitere internationale Unterstützung für ihn. Allerdings, die Methoden sind unterschiedlich: Während die US-Außenpolitk für den sowjetischen Chef mit Vorliebe Streicheleinheiten auf der PR-Ebene bereithält, geht Kohl ans Eingemachte. Schon beim Pariser Wirtschaftsgipfel der westlichen Regierungschefs im letzten Jahr war er der deutlichste Verfechter massiver Finanzspritzen für die SU — damals erfolglos. Diese Differenz ist nicht zufällig oder Resultat gemeinsamer Strickjacken-Spaziergänge im Kaukasus. Die Amerikaner sind eben einfach, was die sowjetischen Probleme anbetrifft, im wörtlichen Sinne weiter vom Schuß. Und darüber hinaus geht die deutsche Politik seit einiger Zeit mit einem Gespenst um: einer immer wieder erwarteten und ins Astronomische prognostizierten Migrationswelle aus der Sowjetunion. Wenn der Reichtum nicht zu den Menschen kommt, kommen die Menschen zum Reichtum. Das ist die simple Wahrheit. Die Kohlsche Außenpolitk nach Osten setzt da auf zwei Varianten: die ins Auge gefaßte Völkerwanderung durch Wirtschaftförderung im Land verhindern und die Grenzen dichtmachen — nicht unbedingt an der Oder und Neiße, sondern wie uns die Visa-Verhandlungen mit Polen gezeigt haben, soll eher die polnische Ostgrenze als Auffanglinie funktionieren. Den Druck auf die Festung Europa vermindern und gleichzeitig die Festungsanlagen ausdehnen — diese Politik ist durchaus kompatibel mit den bisher allerdings noch vagen Ideen Bushs für eine neue Weltordnung — arbeitsteilig eben. Georgia Tornow