Staatsanwalt drückt Augen zu

■ Mietwucher in Konstanz: 107 Mark Miete pro Quadratmeter vom Sozialamt verlangt/ Staatsanwaltschaft: Mietwucher nur Ordnungswidrigkeit

Konstanz (taz) — Wohin mit den Obdachlosen? Das Sozialamt der Stadt Konstanz war schlußendlich froh, einen Teil der Wohnsitzlosen trotz horrender Mieten — mit Spitzenpreisen bei 107 Mark pro Quadratmeter — in einem Haus in der Innenstadt unterbringen zu können. Für die bis zu 22 Frauen und Männer gab es eine Dusche und pro Stockwerk eine Toilette. Um Bettwäsche und Reinigung hatten sich die meist alkoholkranken Menschen außerdem selbst zu kümmern. Das alles geschah 1987, die Hauptmieter des Wohnhauses kassierten skrupellos die Mieten vom Sozialamt ab.

Die Staatsanwaltschaft Konstanz ließ 1988 ein Gutachten anfertigen. Daraus ging eindeutig hervor, daß es sich um einen eklatanten Fall von Mietwucher handelte. Der Mietpreis pro Quadratmeter Wohraum läge bis zu 600 Prozent über der zulässigen Höchstmiete. Nach nunmehr dreijährigen Ermittlungen kam die Staatsanwaltschaft zu einem für alle überraschenden Entschluß: „Die Überprüfung der Aktenlage“ habe ergeben, „daß die Beschuldigten nicht die Zwangslage oder die Unerfahrenheit anderer ausgebeutet haben“. Aus diesem Grund betrachte man den vorliegenden Fall als Ordnungswidrigkeit, aber nicht als Straftat. Allerdings könne nun, so die Staatsanwaltschaft, die Stadt über das Rechts- und Ordnungsamt reagieren. Für die „Ordnungswidrigkeit Mietwucher“ sei ein Bußgeldbescheid bis zu 50.000 Mark möglich.

Der Konstanzer Rechtsanwalt Horst Frank hat gegen die Einstellungsverfügung Beschwerde eingelegt: „Mietwucher ist ein klarer Straftatbestand.“ Tatsächlich hat bereits am 8.12.81 der Bundesgerichtshof ein Urteil erlassen. Damals ging es um überteuerte Schlafplätze für Asylbewerber. Ein anderes Urteil erging am 25.6.86 vom Landgericht Köln. Auch hier hatten Vermieter für Schlafräume für Nichtseßhafte eklatante Summen verlangt. Das Landgericht urteilte: „Die Zwangslage der Nichtseßhaften wurde ausgebeutet.“ Für Rechtsanwalt Frank ist die Entscheidung der Konstanzer Staatsanwaltschaft unverständlich: „Der Straftatbestand des Mietwuchers liegt doch gerade darin, daß ein Sozialamt wegen fehlender Räumlichkeiten von rücksichtslosen Vermietern gezwungen wird, weit überhöhte Mieten zu bezahlen.“ Und was das Sozialamt bezahlt, ginge schließlich auch zu Lasten der Allgemeinheit. Holger Reile