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Wider die „Marie-Antoinette-Landwirtschaft“

Die „Revolution“ von EG-Agrarkommissar Mac Sharry soll die Überschußproduktion drosseln, ohne durch Subventionsabbau die Kleinbauern zu schädigen/ Doch Agrobusiness im Norden der Gemeinschaft will sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen  ■ Aus Brüssel Karin Acker

„Krise ohne Ende, aber mit Höhepunkten“ — nach diesem Motto werkeln die EG-Agrarminister schon seit Jahren vor sich hin. Nicht der Mangel löst in der EG Krisen aus, sondern der Überfluß. Die EG-Lagerhäuser quellen über mit Nahrungsmittel-Überschüssen, die weder in der Gemeinschaft noch auf dem Weltmarkt abzusetzen sind.

Täglich verkünden die Lagerhalter neue Rekorde: Weizen für mindestens 38 Milliarden Brote und Rindfleisch für etwa vier Milliarden dauergefrorene Steaks lagern dort, von den gigantischen Butter- und Milchpulverbergen ganz zu schweigen. Entsprechend werden die Ausgaben für die EG-Landwirtschaftspolitik dieses Jahr um 30 Prozent auf 65 Milliarden D-Mark steigen. Doch trotz der Unsummen, die der EG-Steuerzahler dafür berappt, geht es der Mehrheit der elf Millionen Landwirte an den Kragen. Deren Einkommen sank vergangenes Jahr durch Preiskürzungen für landwirtschaftliche Produkte um knapp drei Prozent.

Bei dem Dschungel an EG-Agrarvorschriften, den auch Eingeweihte kaum noch durchblicken, können außerdem Subventionsbetrüger problemlos abräumen. Jährlich werden so rund neun Milliarden DM umverteilt. Und schließlich klagen die internationalen Handelspartner — vor allem in den USA und der Dritten Welt — die Europäer an, mit ihren unter Weltmarktpreis hinabsubventionierten Massenausfuhren den Weltmarkt kaputtzumachen.

Eine Reform der verfahrenen EG- Agrarpolitik scheint also dringend geboten. Von Eile ist in der Europa- Metropole indes nichts zu spüren. Seit Anfang des Jahres liegen die „Reflexionspapiere“ der Brüsseler EG-Kommission auf den Tisch. Denn die zwölf Landwirtschaftsminister sind, wie in den ersten fünf Monaten jedes Jahres üblich, mit den Agrarpreisen für das neue Jahr beschäftigt. Daran scheint auch das düstere Orakel des Agrarchefs der EG- Verwaltung nichts zu ändern: Die Landwirtschaftspolitik werde sich selbst zerstören, wenn keine radikale Änderung erfolge.

Ray Mac Sharry nützt denn auch jede Gelegenheit, seine, wie er sie selbst bezeichnet, „revolutionären“ Reformvorschläge anzupreisen — oder zu lamentieren: Sein Konzept würde falsch verstanden, und eigentlich wäre es für ihn viel einfacher, den Karren einfach laufen zu lassen. Nur steckt der Karren zu tief im Schlamassel: Mit 800.000 Tonnen Rindfleisch und der gleichen Menge Butter sowie Milchpulver ist die Manövrierfähigkeit etwas beschränkt. Daher also sei es an der Zeit, die gemeinsame Agrarpolitik umzukrempeln, die in einer Zeit erdacht wurde, als Europa noch viele Lebensmittel importieren mußte.

Inzwischen hat sich die EG jedoch zum größten Exporteur landwirtschaftlicher Güter gemausert. Oberstes Gebot sei es deshalb, die Produktion einzudämmen. Dazu will der Agrarkommissar die von der EG- Kommission garantierten Agrarpreise teilweise drastisch beschneiden und die Produktionsquoten senken. Als Ausgleich für die dadurch entstehenden Einkommensverluste sollen vor allem die kleineren landwirtschaftlichen Betriebe direkte Beihilfen erhalten. Damit würde man zu einer neuen Form der Unterstützung übergehen, die nicht mehr von den garantierten Preisen abhinge. Es gehe nicht länger an, so Mac Sharry, daß 80 Prozent der Subventionen in die Taschen von nur 20 Prozent der Landwirte fließen.

In seinem Grundsatztext macht der irische EG-Kommissar deutlich, daß eine ausreichend große Zahl von Landwirten dazu bewegt werden soll, auf dem Land zu bleiben. „Es gibt keinen anderen Weg, um die Umwelt, eine in Jahrtausenden geschaffene Landschaft und das Modell einer durch bäuerlichen Familienbetrieb geprägten Landschaft zu erhalten.“ Ansätze für ein Umdenken scheinen allmählich auch in den nationalen Behörden Fuß zu fassen, konstatiert Mac Sharry. Man müsse anerkennen, daß die Landwirte zwei wichtige Funktionen erfüllen oder zumindest erfüllen sollten: die Produktion landwirtschaftlicher Güter und die Erbringung von Leistungen für den Umweltschutz. Daher sollen in seiner neuen Agrarpolitik weniger intensive Produktionsmethoden und umweltfreundliche Maßnahmen belohnt werden, was auch der Qualität der Nahrungsmittel zugute käme.

Festhalten will er auch in Zukunft am „Prinzip der finanziellen Solidarität“, allerdings müßten die Gelder gerechter verteilt werden zugunsten derer, die Solidarität am nötigsten brauchen. Aber auch die Solidarität hat ihre Grenzen, zumindest für die Agrarminister der Nordstaaten der Gemeinschaft. Deren Großbetriebe könnten in dem Konzept nämlich nur mit einem relativ geringen Einkommensausgleich rechnen. Bei einer Diskussion der Vorschläge im Februar zeigte sich Frankreichs Landwirtschaftsminister Mermaz dann auch „erschreckt“, daß Länder mit leistungsfähigen Strukturen zu leiden hätten. Sein britischer Kollege Gummer kündigte gar Opposition an, falls die Uhr auf „Marie-Antoinette-Landwirtschaft“ zurückgestellt würde. Die Minister der Niederlande und Dänemarks schlossen sich dem Lamento an.

Die Aussichten für die mehrheitlich in den südlichen Mitgliedsländern anbauenden Kleinbauern stehen unter diesen Voraussetzungen nicht gerade günstig. Selbst Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle, der sich seit Jahren als Vorkämpfer für die Produktionssenkung durch Flächenstillegung stark macht, hält nichts von dem Vorschlag. Die riesigen Agrarfabriken im Osten der neuen Republik würden bei dem Konzept einfach unter den Tisch fallen. Also aus der Traum von einer grünen Revoluiton à la Mac Sharry? Wohl kaum, denn die EG-Exekutive wird Druck machen: „Der einzige nicht gangbare Weg wäre die Zementierung des Status quo“, weiß der Agrarkommissar. Es müsse etwas geändert werden, wie auch immer.

Zu den Nein-Sagern zählen auch die europäischen Bauern- und Genossenschaftsverbände. Bei „aller Anerkennung“ für einzelne Elemente des Kommissionspapiers, heißt es in deren Pamphleten, eine echte Zukunftsperspektive werde den Landwirten damit nicht geboten, weil an den direkten Einkommensbeihilfen der Geruch von Sozialhilfe und Almosen haftet. Damit aber nicht genug: Auch die Lobby für eine „alternative Agrarpolitik in Europa“ ist von Mac Sharrys grüner Revolution nicht begeistert. Sie setzt sich dafür ein, nach Regionen und Betriebsgröße gestaffelte, höhere Preise nur bis zu einem bestimmten Produktionsvolumen zu zahlen. Ist dies erreicht, sollen die Preise drastisch gekürzt werden. Außerdem will die Alternativ-Lobby die Agrarexportsubventionen abschaffen und die Massentierhaltung verbieten. Flächenstillegungen, die die Kommission fördern will, werden ebenso verworfen wie die Vorruhestandsregelung.

Noch laufen sich die verschiedenen Gegner Mac Sharrys warm. Ernst wird es frühestens im Juni, wenn die Agrarminister ihren Disput über die Festlegung der Agrarpreise beendet haben. Daß die neue Agrarpolitik aller Voraussicht nach die Steuerzahler noch teurer zu stehen kommen wird als die alte, dürfte dann nicht der geringste Streitpunkt sein. In weiser Voraussicht ahnt der Agrarkommissar, daß die Reformen „auch mit dem allerbesten Willen“ nicht vor 1993 greifen werden.

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