Der Opportunismus des Guten

■ Milde Rechtsbeugungen in Stammheim

Der Opportunismus des Guten Milde Rechtsbeugungen in Stammheim

Das Gericht in Stuttgart-Stammheim ist übel beleumundet. Es gilt als Sondergericht der politischen Strafjustiz in der Bundesrepublik unter den Auspizien des sprichwörtlichen Stammheimer Landrechts. Neuerdings konzentrieren sich einige Hoffnungen auf die Politisierung der dort amtierenden Richter. Auf einmal erscheint deren Willfährigkeit gegenüber politischen Einflüsterungen als Vorteil. Mit diesen Richtern könnte der Generalbundesanwalt — so spekulieren Unterstützerkreise — vielleicht erreichen, was ihm im Fall des in München angeklagten Werner Lotze mißlang: ein mildes Urteil für die RAF-Aussteigerin Susanne Albrecht. Ein Urteil also, das, wie so oft in Stammheim, die Sach- und Rechtslage leger deutet, und als Signal gedacht ist: nicht der Härte, sondern der Milde — Zeichen für den Nutzen der Kronzeugenregelung.

Der rechtspolitische wie auch der politische Nutzen eines solchen Urteils ist fragwürdig. Tatsächlich sind die in der DDR untergetauchten RAF- Aussteiger nicht wegen der Kronzeugenregelung und den damit verbundenen Strafnachlässen aussagewillig und reumütig. Sie haben längst vorher mit der RAF und ihren Terror- und Mordtaten gebrochen. Sie wollen reinen Tisch machen und stehen zu ihren Taten. Notwendigerweise belasten sie dabei ehemalige Kampfgenossen. Solche, die begnadigt sind, kurz vor der Begnadigung oder doch vor erheblichen Hafterleichterungen standen, solche, die in absehbarer Zeit entlassen werden sollten und solche die lebenslange Haftstrafen verbüßen. Diejenigen, die sie belasten, haben sich entweder selbst mehr oder weniger deutlich von der RAF gelöst, oder sie fühlen sich gerade durch die „Verräter“ in ihrem Weltbild gefestigt und bestätigt. Die Kronzeugenregelung führt zu Verrenkungen in der Rechtsprechung, zu Opportunismus beim Abfassen von Anklageschriften und Haftbefehlen. Immerhin muß Richard von Weizsäcker derzeit fürchten, daß sein Gnadenerweis für Angelika Speitel nachträglich ins Zwielicht gerät, seine Aktivitäten für Jürgen-Peter Boock sind ohnehin längst diskreditiert...

In dieser Situation sind nicht einzelne Gerichte gefordert, sondern der Gesetzgeber. Politische Morde sind eben keine gemeinen Mordtaten, sondern Folge politischer und ideologischer Strategien. Das Recht kann solche Motive nicht einfach ignorieren. Es geht nicht darum, den Strafprozeß als Ort einer juristischen Wahrheitsfindung durch Kronzeugenregelungen und politische Rücksichten zu entwerten, sondern um die Schaffung pragmatisch handhabbarer und individuell gerechterer Spielräume bei der Strafzumessung und bei Strafnachlässen. Götz Aly