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Polens Regierungschef Bielecki dementiert Rücktrittsgerüchte

Warschau wegen Müllfahrerstreik zum ökologischen Krisengebiet erklärt  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann Polens Premier Bielecki hat in einem Interview mit dem polnischen Fernsehen Gerüchte dementiert, wonach er und seine Regierung planen, in nächster Zeit spektakulär zurückzutreten. Die Gerüchte waren aufgetaucht, nachdem die Regierung in den letzten Tagen unter massiven Druck von mehreren Seiten gekommen war. Bielecki sagte, seine Regierung habe noch viel zu erledigen bis zu den Wahlen und werde im Amt bleiben.

Zu entsprechenden Spekulationen hatte bereits der Streit zwischen Regierung und Präsidentenamt um die von Präsident Walesa geplante Expertendebatte um die Wirtschaftspolitik geführt, die am Wochenende in Warschau stattfand. In der Regierung hatte man das Treffen, zu dem zahlreiche Kritiker der Wirtschaftspolitik eingeladen worden waren, als Affront Walesas gegen die Regierung aufgenommen. Gleichzeitig hatten sich Justizminister Chrzanowski (Christlich-Nationale Vereinigung) und Bauminister Glapinski (Zentrum) öffentlich von der Regierung distanziert. Kurz vor der Wirtschaftsdebatte, die nach Aussage von Teilnehmern keinerlei Annäherung der Standpunkte brachte, hatte Walesa dann seine Unterstützung für die Regierung betont. Inzwischen ist die Regierung allerdings auch unter Druck von unten geraten. In dieser Woche konnte zwar gerade noch ein Streik von Hüttenarbeitern in Schlesien beendet werden, doch bereits für den Mittwoch kündigte Solidarność einen „landesweiten Protesttag“ an, der aus Warnstreiks, der Beflaggung und Protestaktionen in den Betrieben bestehen wird. In Warschau ist heute der öffentliche Nahverkehr nahezu zum Erliegen gekommen, nachdem die Verhandlungen von Solidarność mit der Stadtverwaltung ohne Ergebnis geblieben waren. Die Fahrer, die schon während der Verhandlungen teilweise in wilde Streiks getreten waren, fordern eine 50prozentige Gehaltserhöhung. Ihre Durchschnittsgehälter liegen knapp unter dem statistischen Durchschnittslohn.

Das gilt auch für die bereits seit einer Woche streikende Müllabfuhr der Warschauer Woiwodschaft, die ebenfalls Lohnerhöhungen fordert. Da sich in manchen Teilen Warschaus inzwischen der Müll auf den Straßen stapelt, hat der Bürgermeister von Warschau den ökologischen Ausnahmezustand verhängt. Um Epidemien vorzubeugen, sollen Militär und Privatfirmen den Abfall abtransportieren.

Unterdessen hat das Budgetdefizit von 5 Billionen Zloty (ca. 800 Millionen DM) zu einer dramatischen Lage im Gesundheits- und Erziehungsbereich geführt. Das Finanzministerium verfügte eine Ausgabenkontrolle. In manchen Schulen führte dies im Bereich des Erziehungsministeriums dazu, daß die Lehrer nun unbezahlte Sommerferien machen müssen, Klassen unterschiedlicher Leistungsstufen zusammengelegt werden und die Fahrtkosten von Schülern und Lehrern nicht mehr ersetzt werden.

Unter finanziellen Engpässen leiden auch die Krankenhäuser. Da die Subventionen für Medikamente gestrichen wurden, zugleich aber die staatlichen Arzneimittelhersteller die Preise drastisch erhöht haben, haben viele Ärzte ihre Patienten aufgefordert, ihre Medikamente selbst mitzubringen. Mit Abhilfe in der Form von höheren Zuschüssen ist nach Aussage des Gesundheitsministeriums erst in einigen Wochen zu rechnen: „Bis dahin müssen die Vorräte reichen.“

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