: Warum das Polarmeer so eiskalt ist
■ Die Bremerhavener „Polarstern“ vor ihrer größten Forschungstour, die am Nordpol vorbeiführen soll
Die „Polarstern“, das Forschungsschiff des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, wird am 1. Juni zu seiner schwierigsten Expedition aufbrechen: Wenn das ewige Eis es zuläßt, wollen die Forscher noch über den Nordpol hinaus in das kanadische Becken vordringen, zu dem bisher nur die nuklear angetriebenen U-Boote der Sowjetunion gelangten. Die Eiskappe des Nordpols gilt als wichtige Schaltstelle des globalen Klimasystems. Weltweiten Klimaveränderungen hoffen die Polarforscher mit ihrer Grundlagenforschung in der Arktis auf die Spur zu kommen.
In einem internationalen Team wollen sich bis zu 116 Biologen, Geowissenschaftler und Meereisforscher in drei Etappen und mit zuletzt drei Schiffen ins Eis vorwagen. Den letzten Fahrtabschnitt hat das Alfred-Wegener- Institut zusammen mit den USA und Schweden geplant, die ihre Eisbrecher „Polar Star“ und „Oden“ mit auf die Reise schicken: „Dieses Projekt war von Anfang an als Mehrschiffsunternehmen geplant. Für eines allein wäre solch eine Expedition Harakiri“, erklärte Dieter Fütterer, der als Leiter des letzten Abschnitts die Polarstern bis Mitte Oktober nach Bremerhaven zurückbringen soll.
Die Geologen und Geophysiker stellen die weitaus größte Arbeitsgruppe des Teams, das besonders auf diese letzte Etappe der Reise spekuliert. Mit ihrer Schlüsselfrage: Wie hat sich der Arktische Ozean von einem „warmen“ zu einem eisbedeckten Polarmeer entwickelt? wollen sie seine Klima- und Vereisungsgeschichte erforschen. Bis zu 20 Meter lange Proben werden sie mit dem Schwerelot und anderen Geräten aus dem Meeresboden stanzen, um Jahrtausende alte Ablagerungen zu analysieren: Sauerstoffkonzentrationen, Salz-, Sediment- und Chlorophyllgehalt. Bisher sind arktische Tiefseesedimente nahezu unerforscht: lediglich von der amerikanischen Küste des Arktischen Ozeans liegen einige Untersuchungen vor.
Bei ihrer bisher nördlichsten Expedition hatte die Polarstern 1987 mit einer Bodenprobe einen Basaltbrocken des Lomonossov- Rückens — eines submarinen Gebirges, auf dem der Nordpol liegt — an Bord bekommen. Dieser Splitter ist bisher einziges Indiz für die Hypothese, daß der Lomonossov-Rücken vor 30 bis 40 Millionen Jahren vom Eurasischen Kontinent abgesplittert ist und seitdem immer weiter vom eurasischen Rand wegdriftet. Jetzt hoffen die Wissenschaftler auf weitere Proben, die zum Beispiel auf eine granitische Kruste des submarinen Gebirges hinweisen und diese Hypothesen weiterbringen. Das andere Gebirge im Arktischen Ozean, der Nansen-Gakkel, ist dagegen, so vermuten die Polarforscher, ein typischer Tiefseerücken, der sich dort durch Ablagerungen immer weiter aufbaut.
Ob die Reise allerdings tatsächlich bis zu diesen Gebirgen führt, hängt einerseits von den Eisverhältnissen, zum anderen aber auch von den Verhandlungen mit der Sowjetunion ab: Sie hat die Genehmigung zu Forschungsarbeiten in den sibirischen Gewässern bisher verweigert. Ob allerdings noch ein sowjetischer Eisbrecher an der Expedition beteiligt wird, hängt von den noch nicht abgeschlossenen Finanzierungsgesprächen ab. Im wissenschaftlichen Team sind indes auch sowjetische Forscher: „Vielleicht wird uns dies für die Zukunft die Türen öffnen“, hofft Professor Fütterer.
Nördlich von Spitzbergen wollen die Meeresforscher die Wege des warmen atlantischen Wassers entlang des Kontinentalhanges verfolgen. Diese Strömungen sind vermutlich für die Erneuerung des Tiefenwassers und für den Transport von Lebewesen und Nahrungspartikeln entscheidend. Während der ganzen Fahrt werden außerdem Vögel, Wale und Robben gezählt.
Birgitt Rambalski
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