Hessen: Frauenpolitik auf dem Prüfstand

■ Hessische Wissenschaftsministerin zögert, C4-Stelle an Gießener Uni mit Feministin zu besetzen

Berlin (taz) — Beim Asta der Justus-Liebig-Universität werden noch Wetten angenommen: Bekommen die Gesellschaftswissenschaften nach mehr als 15 Jahren Abstinenz endlich wieder einmal eine Professorin, oder nicht? Der Streit um die Besetzung der vakanten C4-Professur für Kultur- bzw. Entwicklungssoziologie währt nun schon über ein Jahr und hat zu heftigen Turbulenzen im Fachbereich geführt (die taz berichtete). Entschieden aber ist noch nichts. Das letzte Wort hat jetzt die neue hessische Wissenschaftsministerin Evelies Mayer (SPD).

Streitobjekt, besser -subjekt, ist die 46jährige Wissenschaftlerin Veronika Bennholdt-Thomsen, die sich als Entwicklungssoziologin und Mitgründerin einer feministischen Frauenforschung auch international einen Namen gemacht hat. Die Mehrheit des Fachbereichsrates, StudentInnen, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche MitarbeiterInnen und einige Professoren setzten die Frauenforscherin auf Platz Eins ihrer Berufungsliste. Der Professorenmehrheit, innerhalb des Fachbereichsrats deutlich in der Minderheit, aber schmeckt die streitbare Feministin nicht. Mit Argumenten, wie, die Bewerberin habe innerhalb der „scientific community“ als Vertreterin eines „alternativ-marxistischen Ansatzes“ keinen großen Stellenwert und erreiche darüber hinaus den „internationalen Standard der in der soziologischen Disziplin teiletablierten Frauenforschung“ nicht, machten die Herren ihr die Qualifikation für den Posten streitig und stellten eine eigene Berufungsliste auf — ohne Bennholdt-Thomsen.

Wochenlang liefen die StudentInnen Sturm, sammelten Unterschriften für ihre Wunschkandidatin, die Frauenbeauftragte der Uni mischte sich ein. Beide Berufungslisten landeten beim Uni-Präsidenten, der reichte sie weiter an den damaligen hessischen Wissenschaftsminister. Dort ruhen sie heute noch.

Eigentlich müßten die Chancen für die Berufung Veronika Bennholdt-Thomsens jetzt bestens stehen. Denn die Entscheidung liegt nach dem Regierungswechsel in Hessen nun bei einer Frau, Mitglied einer rot-grünen Landesregierung, die sich einer aktiven Frauenförderung verschrieben hat. Evelies Mayer aber zögert. „Das Verfahren läuft noch“, gibt sich ihr Pressesprecher einsilbig. Gemunkelt wird aber, daß sich die Wissenschaftsministerin für den ihr politisch nahestehenden Mitbewerber Helmut Dubiel erwärmt, dessen Name auf beiden Berufungslisten auftaucht. Außerdem soll er vom Präsidenten der Gießener Uni, Heinz Bauer, als Kompromißkandidat vorgeschlagen worden sein. Eine Entscheidung gegen Veronika Bennholdt-Thomsen aber wäre nicht nur ein Armutszeugnis für die neue rot-grüne Frauenpolitik, sondern auch glatte Mißachtung des Frauenförderplans der Uni Gießen. Dort steht immerhin, daß Wissenschaftlerinnen bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden sollen. Die hessische Frauenministerin Heide Pfarr soll bereits kräftig hinter der Kulissen wirbeln, offiziell verlauten ließ sie indessen nur: „Der Fachbereichsrat hat mit Mehrheit Veronika Bennholdt-Thomsen auf Platz Eins seiner Liste gesetzt. Ich werde mich dafür einsetzen, daß sie berufen wird.“ Ulrike Helwerth