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Es muß zum Kusse kommen

■ Theater »Wilde Mischung« besinnt sich aufs Sinnlose und begleitet es auf dem Piano

Aber bitte, was haben Sie nicht auch schon für viel weniger Geld gemacht? Dann können Sie auch weiterhin den Affen machen, mit dem Hintern wackeln, plärren, bis die Stimmbänder versagen, das Letzte rauslassen, auch den Schlüpfer runter und Bonmots mit und ohne Tiefgang rausblubbern. Denn fürs viel- und heiß- und kaltgeliebte Publikum können Sie wirklich alles geben, auch wenn es die akute Sinnlücke nicht füllt. Aber schließlich geht es ja nur um das eine: Lebenslust. Dazu muß man keine »Wilde Mischung« sein, aber es hilft bisweilen.

Besagte Lust in vierfacher Variation treibt die drei Damen, diesmal mit einer männlichen Begleiterscheinung, nach längerer Künstlerpause zur Zeit in die Ufa-Fabrik, denn »Für Gold mach ich alles«. Auch kein Stück.

Was die »Wilde Mischung« über zweieinhalb Stunden auftischt, ist eine in die Länge gezogene Talentprobe. Aber jene tadellos: An dem Talent der Damen kann nicht gezweifelt werden. Dies tröstet über den fehlenden Plot hinweg, den sie sich konsequenterweise ganz hätten sparen können — warum nicht gleich eine saubere Show, das spart die peinlichen Überleitungen —, denn den roten Faden werfen sie ohnehin zur Weiterreichung in die perplexe Menge, die sogleich brav anbändelt. Damit wäre das Element »Wir spielen mit dem Publikum« abgehakt.

Zu den handelnden Personen: Eine erfolgreiche Managerin, eine Wahrsagerin, Frau Kloos und ein männlich-verklemmtes Findelkind treffen zwecks Erlangung eines gemeinsamen Erbes in Höhe von 100 Gramm Gold auf einem Bahnhof bzw. in einem Zugabteil aufeinander und — spielen sich beherzt und schamlos der Erbschaft entgegen. »Halten Sie sich an mich, ich bin der Inhalt des Stücks«, spricht die Impressaria der Truppe, Lilly Walden, und daran sollte man sich halten. Allerdings reicht dies schon aus für einen unterhaltsamen Abend, denn die Talente der Damen wiegen ein mittelschweres Revueensemble samt Kapelle auf.

Die Managerin (Dorothea Gehr) mit der Erotik eines Kühlschranks besingt neudeutschmäßig den Wolf in sich, die Wahrsagerin (Birgitta Altermann) rast auf dem Piano und präsentiert nebenbei einige rauchige Chansons à la Cherchez-la-femme, und das Findelkind (Boris Hetzer) füllt das dankbare Klischee des verschreckten Jünglings im Anblick der Damenschaft geradezu mitleiderregend. Als ihm, der leidvoll im Parka schwitzt, der Eisschrank den satinweißen Hintern entgegenreckt, haucht er »behext, ich will nur noch Sex«.

Alles beherrschend die Lustproben der Frau Kloos (Lilly Walden): Sie reißt sich die Kleider vom Leib ohne Rücksicht auf die Zumutbarkeit, steppt ihre Partnerinnen in Grund und Boden, quält sich ab mit ihrem Koloratursopran und quatscht vor allem dämlich ohne Punkt und Komma über alles und jeden, über Angst und Lust und Liebe ohne Anlaß, aber mit Dialekt und vorauseilender Tiefenschürfung. Es geht eben nur um das eine: »Es muß zum Kusse kommen«. Küssen müßte man sie, auch wenn es laut werden könnte. Leise Töne liegen ihr nicht. Aushalten.

Aushalten lohnt sich. Das Gruppenspiel der Damen mit Herr bringt grandiose Höhepunkte: Der Damentango von Gehr/Walden ist schamlos gut einstudiert, das Pianoduo Altmann/Hetzer tauscht Intimitäten in allen Tonlagen aus, der grimassierende Dialog von Walden/Altmann über die alltägliche Angst schauspielert Proficlowns an die Wand, und die gesellige Suche aller unterm Frotte-Cape nach des Rätsels Möhre, die das Findelkind verlor, glänzt durch schnelle Wortspiele. Was haben Sie nicht schon alles für viel weniger Geld gemacht? Nana Brink

Ufa-Fabrik, Viktoriastraße 13, bis zum 9. Juni, jeweils Mittwoch bis Sonntag, 21 Uhr.

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