INTERVIEW
: Aus der Schießschartenperspektive

■ Klaus Jünschke, RAF-Aktivist der ersten Stunde und nach 16 Jahren Haft 1988 entlassen, zur Debatte über die Haftbedingungen der Gefangenen

taz: Generalbundesanwalt von Stahl will die Haftbedingungen für Gefangene der RAF verschärfen. Die Unionsparteien wittern anscheinend in jeder Zelle Gefahr im Verzuge. Was spielt sich da ab?

Klaus Jünschke: Da wiederholen sich Reaktionsmuster, die für dieses Land seit vielen Jahren typisch sind. Es wird versucht, die Kleingruppenzusammenlegung, einen mühsam erreichten Standard, wieder rückgängig zu machen. Ein Mord ist passiert, die zuständigen Behörden haben keine Hinweise auf die Täter und keine Ansatzpunkte für die Fahndung. In so einer Situation werden die Gefangenen zum Ersatz-Objekt. Natürlich weiß jeder, daß Härte gegen die Gefangenen und Haftverschärfungen nichts lösen. Aber die führenden Leute von CDU und CSU sind völlig besessen von der Vorstellung, so reagieren zu müssen. Aus vielerlei Gründen. Diese Parteichristen glauben wie die RAF an Härte und Gewalt. Das Resultat ist dann diese Groteske, daß die Zusammenlegung von ein paar Gefangenen aus der RAF zu einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik aufgeblasen wird.

Von Stahl begründet seinen Vorstoß mit angeblich neuen Erkenntnissen aus Zellenrazzien. Kassiber hätten gezeigt, daß die Gefangenen ihre Zusammenlegung nicht aus humanitären Gründen, sondern zur „Verbesserung der Kampfbedingungen“ betreiben. Hat die Staatsschutz-Befürchtung, daß schwankende Gefangene in der Gruppe wieder auf Linie gebracht werden, einen wahren Kern?

Daß es Disziplinierung in der RAF gibt, ist richtig. Darüber muß man sich nicht künstlich aufregen. Überall, wo es Gruppen gibt, wird diszipliniert. In der Bundesanwaltschaft wird diszipliniert, im Kabinett Kohl wird diszipliniert. Es gibt keine Gruppe ohne Gruppendruck. Und trotzdem: In jeder Phase der RAF- Geschichte sind Leute weggegangen. Das wird auch in Zukunft so sein. Und was das ehemals kritische Magazin Panorama in der letzten Sendung präsentiert hat, waren das denn strafbare Äußerungen? Skandalöser als die Zitate aus dem angeblichen RAF-Info-System ist, daß sich ein Nachrichtenmagazin so von der Bundesanwaltschaft instrumentalisieren läßt.

Welche Rolle spielt das „illegale Kommunikationssystem“?

Die max. zwei Dutzend Gefangenen sind in drei Kleingruppen zusammengelegt, allein oder zu zweit im Gefängnis. Daß die miteinander diskutieren wollen, ist seit Jahren bekannt und wird seit Jahren zu verhindern versucht. Das einfachste wäre, sie alle zusammenzulegen. Dann gäbe es logischerweise auch kein „illegales Kommunikationssystem“.

Hätte eine Achtergruppe im Hochsicherheitsknast bessere „Kampfbedingungen“ als eine Vierergruppe?

Es gibt inzwischen eine zwanzigjährige RAF-Haftgeschichte. Wenn man die als Kampfgeschichte definiert, kommt man auf Prozeßerklärungen und Hungerstreiks. Damit hatte es sich auch schon. Es gibt zwar in der Antiimpi-Szene den nicht sehr klugen Begriff von den „kämpfenden Gefangenen“. In Wirklichkeit ist kein Mensch ohnmächtiger als ein Gefangener. Dem noch das Etikett „kämpfend“ anzuhängen, ist absurd. Man kann sich natürlich in der Haft ganz unterschiedlich verhalten, aufrecht oder nicht, als Kronzeuge oder nicht. Aber die Vokabel „Kampfbedingungen“ ist für eine Gruppe in einem Gefängnis völlig unangemessen — ob das nun vier Inhaftierte sind oder acht oder über hundert wie im Maze-Gefängnis von Nordirland, wo die katholischen und protestantischen Terroristen inhaftiert sind. Dahin sollten übrigens von Stahl und seine CDU-Freunde mal zu einem Bildungsurlaub geschickt werden.

Die Gefangenen sagen aber auch, die Zusammenlegung ist für uns Übergang zur Freiheit. BKA- Präsident Zachert fürchtet wohl nicht zuletzt vor diesem Hintergrund neue Entführungen und Freipressungsversuche. Ist so etwas einfach von der Hand zu weisen?

Niemand kann irgend etwas ausschließen. Das ist die einzige Stärke solcher Behauptungen. Zachert behauptet von Leuten, die er nicht kennt, von denen er nichts weiß, daß er genau abschätzen kann, was sie vorhaben. Das ist nicht nur unseriöse BAW-Astrologie. Damit soll Leuten wie dem FDP-Abgeordneten Baum, die für direkte Gespräche mit den Gefangenen eintreten und sie in öffentlichen Diskussionen zu Wort kommen lassen wollen, der Schneid abgekauft werden. RAF-Mitglieder haben 1977 mit einem Massaker an den Polizeibeamten des Begleitschutzes von Schleyer eine Entführung begonnen, weil sie felsenfest davon überzeugt waren, daß die Gefangenen durch die Isolationshaft vernichtet werden. Bis dahin waren schon drei Gefangene gestorben. Der beste Schutz gegen Anschläge ist auch heute, die Haftunfähigen zu entlassen und alle anderen anständig zu behandeln. Das bleibt auch richtig, wenn es wieder zu Anschlägen kommen sollte. Eine Rote Hinrichtungsfraktion geht an sich von ganz allein kaputt.

Von den Gefangenen selbst kommen momentan wenig Signale, die auf „Kooperationsbereitschaft“ schließen ließen. Welchen Stellenwert haben dabei die Heimkehrer aus der DDR und die öffentliche Aufarbeitung ihrer Geschichte?

Die Gefangenen sind nicht nur einem internen Druck ausgesetzt, sie werden auch durch die Art und Weise, wie diese Kronzeugen von der Bundesanwaltschaft vorgeführt werden, enorm von außen unter Druck gesetzt. Wir wissen, daß die in der DDR verhafteten Ex-RAFler sich ursprünglich vorstellten, mit einer Art Rundum-Kronzeugenschaft, bei der sie sich nur selbst belasten wollten, schnellstmöglich zu ihren Kindern zurückzukommen. Vielleicht hat ihr Verhältnis zur Stasi sie zu dem Glauben verleitet, die bundesdeutschen Staatsschützer seien ein geeignetes Depot für die historische Wahrheit. Jedenfalls haben die Karlsruher Helden der Arbeit sie über den Tisch gezogen. Kein Gruppendruck hätte je fertiggebracht, was die Bundesanwaltschaft für den Zusammenhalt der RAF mit diesen Kronzeugen-Schauprozessen geleistet hat. Und es gibt in dieser Republik keine Politiker, die die politischen Beamten dafür verantwortlich machen.

Die Situation scheint momentan verfahren wie lange nicht mehr. Was wäre denn jetzt nötig?

Die Gefangenen sind in der Mehrheit über zehn Jahre in Haft. Irmgard Möller 19 Jahre. Nach zehn Jahren können bei Lebenslänglichen die Entlassungsvorbereitungen beginnen. Haftziel ist laut Strafvollzugsgesetz die Wiedereingliederung der Gefangenen in die Gesellschaft. Aus der Schießschartenperspektive des Generalbundesanwalts wird aus dem lauten Nachdenken der Gefangenen über ihre Freiheit umstandslos eine bevorstehende Freipressung. Nötig wäre, daß die Bundesanwälte ihre Scheuklappen ablegen und sich Gedanken über die Entlassung der Gefangenen machen. Und zwar öffentlich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand, der nach sechzehn oder neunzehn Jahren freikommt, wieder in den Untergrund geht.

Mindestens verbal halten einige an der bewaffneten Politik fest, auch wenn sie es normalerweise nicht ausdrücklich so formulieren.

Mein erstes Interesse ist, daß die RAF die Waffen weglegt, und ich will, daß die Gefangenen freikommen. Aber wenn die Gefangenen an der sog. bewaffneten Politik festhalten wollen, dann sollen sie es tun.

...und ziemlich lange sitzen?

Das ist dann nicht mehr unser Problem. Keine Gesellschaft kann es dulden, daß Leute frei rumlaufen, die andere umbringen. Wer wegen Tötungsdelikten inhaftiert ist, muß der Gesellschaft eine gewisse Garantie dafür geben, daß sich das nach der Entlassung nicht wiederholt. Mit einem „Zu-Kreuze-Kriechen“ hat das nichts zu tun. Es gibt in einer Demokratie kein Recht auf bewaffneten Kampf. Es gibt das Existenzrecht eines jeden Menschen. Interview: Gerd Rosenkranz