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KOMMENTAREUnnötig und ärgerlich

■ Die Bonner Koalition belastet den deutsch-polnischen Vertrag durch eine Entschließung

Andrzej Szczypiorskis Satz, „der Weg Polens nach Europa führt über Deutschland“, charakterisiert die grundlegende Wende der polnischen Außenpolitik. Nach Jahrzehnten der Angst vertraut sie jetzt der langfristigen Kooperation mit den vereinten Deutschen. Unsere Regierung kann auf dem Wunsch Polens, sich der EG zuerst zu assoziieren und dann ihr Mitglied zu werden, aufbauen. Es ist der EG-Rahmen, innerhalb dessen sich ein Ausgleich finden wird zwischen der polnischen Sorge vor dem „Ausverkauf“ an die Deutschen und den Imperativen der Freizügigkeit und des freien Kapitalverkehrs. Der deutschen Minderheit Rechte zu gewähren, die dem durch die KSZE-Vereinbarungen gesetzten Standard entsprechen, ist für die polnische Regierung Gebot ihrer „europäischen“ Option. Sie entspringt im übrigen auch ihrem demokratischen Selbstverständnis.

Vor diesem Hintergrund sind die Manöver der CSU, den deutsch-polnischen Vertrag mit einer erneuten Entschließung des Bundestages über unsere „Erwartungen“ zur Behandlung der deutschen Minderheit zu belasten, ebenso überflüssig wie ärgerlich. Ein derartiges, wie feierlich auch immer übergebenes Schreiben hätte als Dokument der Legislative keinerlei völkerrechtliche Bedeutung — im Gegensatz etwa zum Brief der bundesdeutschen Regierung anläßlich des deutsch-sowjetischen Vertrages von 1970. In der polnischen Öffentlichkeit aber wird eine solche Entschließung dem alten „Hupka-Czaja-Komplex“ und der nationalistischen Agitation in Polen neue Nahrung geben. Die Angehörigen der Minderheit werden durch solche Manöver noch stärker, als das jetzt schon der Fall ist, auf die Bundesrepublik als ihre „Schutzmacht“ fixiert, statt als polnischer Bürger deutscher Sprache und Herkunft ihr eigenes Selbstbewußtsein zu entwickeln. Das heißt konkret: Wenn es dem Wunsch der Einwohner in der Wojwodschaft Opole entspricht, werden dort, wo die deutsche Minderheit konzentriert ist, zukünftig zweisprachige Ortsschilder stehen. Als Forderung von BRD-Organen an die polnische Seite wird daraus sofort ein Streit mit hoher affektiver Besetzung.

Der Bundeskanzler hat, ehe er sich zu einer realistischen Polen-Politik durchrang, in der Vergangenheit oft genug kurzfristiger innerpolitischer Finessen halber die Zukunft des deutsch-polnischen Verhältnisses belastet. Nun, da die Bundestagsentschließung in den Rang einer Koalitionsvereinbarung gehoben wurde und damit fast unvermeidlich erscheint, sollte Helmut Kohl wenigstens bei der Redaktion des Papiers seine Lernfähigkeit unter Beweis stellen Christian Semler

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