INTERVIEW
: Sich der Vergangenheit stellen, um den Kopf für die Zukunft freizubekommen

■ Mit Klage wegen Nötigung sollen Stasi-Akten offengelgt werden/ Kein Gentlemen's Agreement zwischen Bundesregierung und Stasi-Generälen/ Versöhnung durch Gespräche

Hans-Jochen Tschiche, Mitbegründer des Neuen Forums und Fraktionschef von Bündnis 90/Grüne hat Anzeige gegen vier ehemalige Stasi-Generäle wegen Nötigung von Verfassungsorganen erstattet. In einem Interview des 'Spiegel‘ hatten die Generäle von der Bundesregierung Straffreiheit für ihr Schweigen gefordert. Ansonsten drohten die Generäle mit der Offenlegung unangenehmer Informationen. Mit diesem Interview hätten die Ex-Stasi- Generäle eine Nötigung gegenüber der Bundesrepublik ausgesprochen, meint Tschiche.

taz: Nach Paragraph 105 Strafgesetzbuch kann bestraft werden, der ein Verfassungsorgan mit Gewalt oder Androhung von Gewalt nötigt. Inwieweit fühlen Sie sich von den Stasi-Generälen bedroht bzw. genötigt?

Hans-Jochen Tschiche: Den Gewaltbegriff fasse ich weiter. Mit dem Einsatz von Datenbanken und damit mit einem immensen Wissen kann ebenso Gewalt angewandt werden. Man muß davon ausgehen, daß die Stasi-Offiziere eine Menge Daten beiseite geschafft haben. Die Generale haben im 'Spiegel‘ gesagt, wenn die Bundesregierung auf das Gentlemen's Agreement hinter verschlossenen Türen nicht eingeht, dann könnte Schaden für die Bundesrepublik und für einzelne bestehen.

Was vermuten Sie, haben die Generale in der Hand?

Es könnte sein, daß sie eine ganze Menge über Geheimdienste und deren Verbindungen wissen und auch über politische und ökonomische Verstrickungen der beiden Systeme, als noch zwei Staaten, DDR und BRD, existierten. Also die Symbolfigur ist doch Schalck-Golodkowski. Ich denke, daß die Bundesregierung nicht interessiert ist, daß alles an die Öffentlichkeit kommt.

Was versprechen Sie sich von ihrer Klage noch außer einem publizistischen Erfolg?

Wir müssen sehen, ob das Gericht in Hamburg die Klage annimmt. Aber es ist ein politisches Signal, was wir damit geben, und wir versuchen, die Auseinandersetzung noch einmal in Gang zu bringen. Weil es klar sein muß, daß die Leute, die in der ehemaligen DDR wohnen, alle beteiligt waren am Zustandekommen des Staates. Das ist die Aufarbeitung der Geschichte, die wir da vor uns haben. Und diese Aufarbeitung dürfte nicht dadurch gehindert werden, daß sozusagen Spitzenfunktionäre versuchen, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen, und damit ist für sie das Problem erledigt. Und jetzt versuchen sie das zu erreichen, indem sie ihr Wissen ausnutzen. Und die Mehrheit des Volkes in diesem Staat mußte dies zumindest mit der Arbeitsexistenz bezahlen. Hier muß man sich zur Wehr setzen. Und meine Befürchtung ist eben, daß unter Umständen durch das geheimdienstliche Wissen diese Leute sich freikaufen, eben auch weil sie Wissen über wirtschaftliche Vorgänge und eventuell Wissen über Politiker der Bundesrepublik haben. Ich möchte einfach nicht, daß hier ein Kuhhandel getrieben wird.

Sie sagen selbst, die 400 bis 500 hochrangige Agenten nicht im Vordergrund ihrer Überlegungen stehen. Es geht ihnen doch um die 200.000 Mitarbeiter des MfS und darum, über das System zu reden. Glauben Sie, daß Sie das mit einer Klage machen können?

Ich möchte das Problem politisch klären. Nur möchte ich gerne mal ein Signal setzen, daß eine politische Diskussion auch bedeutet, daß bestimmte Verhaltensmuster ausgeschlossen sind. Ich hasse die Stasi-Leute nicht, mir geht's auch nicht wie vielen Kollegen aus den ehemaligen Blockparteien, die ein Kesseltreiben machen nach der Sündenbocktheorie. Ich möchte ein Signal setzen: Wer schon über Vergangenheit redet, der darf sich nicht wie Biedermann und die Brandstifter hinstellen und sagen: Wenn ihr nicht macht, wie wir uns das vorstellen, dann werden wir mal auspacken. Das ist nicht Stand des Gespräches!

Hohe Beamte vom Bundesinnenminsterium haben sich im Februar mit den Generälen getroffen und brachten einen schriftlichen Vorschlag zu Schäuble. Sie fordern Teilamnestie und Rentenregelung gegen Offenbarung ihres Wissens. Haben Sie vor ihrer Klageeinreichung mit dem Innenminister über das Problem gesprochen?

Nein, ich denke, die juristische Geschichte ist das eine. Das andere: Beim Vereinigungsprozeß, der ja erst noch vor uns steht, ist es unerträglich, wenn sich Leute in dieser unverschämten Art einmischen, während die kleinen Stasi-Leute die Vergangenheit zu tragen haben. Wenn irgend jemand aus den Chefetagen der Bundesrepublik und der ehemaligen Stasi irgendwelche Spuren verwischen will, dann ohne uns.

Denken Sie, daß mit Schalck bereits ein Gentlemen's Agreement vereinbart wurde?

Das scheint mir fast sicher zu sein, weil der ja wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist, nachdem er ja schon mal verhaftet worden war.

In den vergangenen Tagen sprachen in Interviews Ex-Stasi-Mitarbeiter vom aufgestauten Frust ihrer Kollegen und davon, daß sich der Frust auch gewalttätig entladen könnte. Nehmen Sie dies nicht ernst?

In der Magdeburger 'Volksstimme‘ hat ein Ex-Stasi- Mann gesagt, es gebe nur drei Möglichkeiten: Aufhängen, Auswandern oder Terror. Gewalt wird kommen, wenn das Gespräch mit diesen Leuten nicht eröffnet wird und wenn diese gesamte Schuldgeschichte nicht verarbeitet wird.

Ich verstehe natürlich die Ängste der MfS-Mitarbeiter, weil natürlich der Zorn der Bevölkerung über ihr eigenes Versagen sich dann an diesen Leuten ausläßt.

Wie wollen Sie Wege zur Versöhnung bahnen?

Ich habe eine Idee von einer sozialpsycholgischen Akademie, wo solche Versöhnungsgespräche laufen, unter uns und den Leuten. Ich möchte eine Einrichtung schaffen, wo auch diese Leute Anlaufpunkte haben, wo sie sich angstfrei öffnen können. Erst wenn wir uns der eigenen Vergangeheit stellen, kriegen wir den Kopf frei für die Zukunft. Interview: Annette Rogalla