Das Harmonische als solches

■ Die Staatliche Kunsthalle zeigt Bilder und Zeichnungen des Berliner Malers Max Kaus

Mit einer breit angelegten Schau seiner Gemälde und Zeichnungen begeht die Staatliche Kunsthalle derzeit den hundertsten Geburtstag des Malers Max Kaus

Ein Bericht von Inge Wünnenberg

Schmale Männerköpfe mit scharfen Gesichtszügen, hohen Wangenknochen, schräggestellten Augen und spitzem Kinn. Nach dem Ersten Weltkrieg druckt der Berliner Max Kaus solche Lithographien. Das Verfließenlassen der Tusche, das Verätzen und andere Manipulationen ergaben materialentsprechende Wirkungen, die bei gelernten Druckern Verwunderung erregten.

Doch leider sind nur noch wenige Grafiken von Kaus erhalten — die meisten fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Außerdem gab der Künstler das Drucken auf, als er sich 1925 beim Hantieren mit den schweren Steinplatten einen Leistenbruch zuzog. Die in der Kunsthalle ausgestellten Arbeiten geben jedoch einen kleinen Eindruck von seiner bedeutenden, beeindruckenden Produktion in den frühen Zwanzigern: Kaus ist ein Expressionist der zweiten Generation. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg malt Kaus, obwohl er zu dieser Zeit die „Brücke“-Maler nur aus Zeitschriften und Ausstellungen kennt, expressionistisch. Auf Erich Heckel, einen der Dresdner „Brücke“-Protagonisten, trifft Kaus erst im Krieg. Heckel dient wie der junge Kaus als Sanitäter in Ostende und findet die Zeit, ihm das Drucken beizubringen.

Künstlerisch geht man jedoch nach dem Krieg getrennte Wege, weil Kaus eine natürliche Scheu vor jeglicher Bindung durch eine Künstlervereinigung, Partei oder Gruppierung hegt. Auch der „November- Gruppe“ tritt der unpolitische Maler nicht bei. Gesellschaftskritik, wie sie George Grosz oder Otto Dix in ihren Arbeiten betrieben, interessiert ihn nicht. Heckel und er bleiben zwar ihr Leben lang befreundet, aber vom Expressionismus entfernt sich Kaus bereits gegen Ende der zwanziger Jahre: Gleichzeitig mit den Männerköpfen entstehen um 1919 herum Frauenporträts, für die die langjährige Freundin und spätere Ehefrau Turu Modell steht. Diese Lithos sind bereits weicher, runder, weniger markant. Der Kaussche Drang zur Harmonisierung deutet sich an. Übertreibungen und Dramatisierungen mag der Maler nicht. Er will das darstellen, was die Menschen tagtäglich beschäftigt. Exponiertes und Extremes sind ihm fremd. Am liebsten verbringt der Eigenbrödler seine Zeit mit Turu daheim im Atelier.

Der Maler liebt die traute Zweisamkeit, den biedermeierlichen Lebensstil. Der heimische Geranientopf, die schlafende Ehefrau und das Kätzchen auf dem Sofa sind bevorzugte Motive. Von Anfang an reizen Kaus die »ruhigen Themen«: Landschaften, Stilleben, Interieurs, Personen und Akte. Im Frühwerk schwankt er jedoch bei der Ausarbeitung zwischen dem expressionistischen und dem dekorativen Stil. Aber der Maler überwindet seine Unentschlossenheit. Die Entscheidung fällt zugunsten des Schönen, Harmonischen, Dekorativen und leider auch Seichten. Bis auf einige herausragende Interieurs wirken die Arbeiten aus der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg eigentümlich belanglos. Sie reizen die Betrachterin nicht: Kaus malt im Atelier— er malte ausschließlich im Atelier— nette Landschaftsaquarelle, die er mit abstrakten Farbschleiern leicht verfremdet. Der Ausgangspunkt für die Abstraktionen ist immer konkret und gegenständlich. Mit den römischen Tempeltrümmern (1956-57) stößt der Künstler sogar ziemlich weit in die abstrakten Gefilde vor. In dieser Bildserie reduziert Kaus die alten Gemäuer auf orange-rot-grüne, geometrisierende Farbflächen, die jedoch eher an die Vasen, Tapeten und Vorhänge der Sechziger als an antikes Kulturgut erinnern.

Der Maler kennt sein Handwerk. Bereits vierzehnjährig geht Kaus bei einem Malermeister in die Lehre und lernt nicht nur das Übliche, sondern außerdem inzwischen in Vergessenheit geratene, dekorative Fertigkeiten. Man bringt dem Jungen bei, wie man Blumen, Putten und Ornamente in allen Stilen und Techniken auf Wände, Stuck, Ofenschirme und Glasfenster appliziert. Zusätzlich besucht der Lehrling die Fachschule für Maler und später den Abendkurs an der Kunstgewerbe- und Kunsthandwerkerschule in Charlottenburg. Nach beendeter Lehre entscheidet sich Kaus — kaum 17jährig — endgültig, Künstler zu werden. Er wird Tagesschüler in Charlottenburg, wo ausschließlich das Zeichnen unterrichtet wird.

In diese Zeit fällt Kaus' erste Begegnung mit der bildenden Kunst: In Begleitung eines Freundes wagt er sich zum ersten Mal ins Museum — in die Kaiser-Friedrich-Gemäldesammlung. Der Junge ist schockiert: »Alles, was ich mir wohl im Inneren geträumt hatte, alles das gab es schon.« Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ bei Kaus Luca Signorellis Gemälde Pan als Gott der Natur. Sein Leben lang bleibt es ein Leitbild für ihn, weil Kaus hier eine gelungene, in sich schlüssige Komposition aus Landschaft und Figuren, mit kühlen, unnahbaren, isolierten Akten findet. Es entspricht dem, was der Maler später selbst in seiner eigenen Kunst umsetzt.

Von Anfang an sieht der Künstler den Sinn seiner Kunst darin, die innere Unruhe durch Sammlung, Ordnung und Form zu bezwingen. Dieses Programm setzt er gnadenlos um, nachdem er den Expressionismus hinter sich gelassen hat: All das Momenthafte, Spontane, Heftige und Gereizte verliert sich. In den Zwanzigern sind Ordnung und Stille zwar noch nicht das bewußte Ziel, aber es kommt dazu. Im Leben und in der Kunst strebt der Maler nach Harmonie und Schönheit. Das, was schön ist, will er malen. Leider hat dieser Drang in seinem Spätwerk zu rein dekorativen Arbeiten geführt, die den Rahmen eines gemütlichen Biedermeiers— im Gegensatz zu den aufregenden expressionistischen Werken — nicht mehr zu sprengen vermögen: Das Harmonische als solches ist oft ziemlich langweilig.

Die Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, Budapester Straße 42-46, ist noch bis zum 4.Juni geöffnet.