Der alte Mann und der Fisch

■ Rod Steward ließ 22.000 Fans stundenlang warten und entschuldigte sich dann wg. Fischvergiftung

Gianna Nannini röhrte sich die Seele aus dem Leib. Höfliches Klatschen. Nannini brüllte. Das Klatschen verstärkte sich erschreckt. Schließlich war es die italienische Rocklady leid: »Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft«, höhnte sie in Richtung der über 20.000 Fans, die sich in Feierabendstimmung auf den Treppen der Waldbühne dem Picknickkorb und der Minisalami widmeten. Derart verspottet, beschlossen die Rod-Steward-Fans, ein wenig ihrer für den gealterten Pop-Gott aufgesparten Energie bereits bei Frau Nannini auszutoben. Schüchtern streckten sich vereinzelt Arme über das Frisurenmeer. »Europa«, schmeichelte Flickenjeans-Gianna und kämpfte eindrucksvoll mit ihrem Mikrophonständer. Nun wuchsen nackte Arme wie Pilze aus der Menge und klatschten und wedelten. Nannini drehte kehlkopfmäßig auf, ballte den gesamten, 1,55 Meter hohen Körper zur Faust. So beschloß man kollektiv, allmählich in Stimmung zu kommen, bis er, der Held, der One and only, der geläuterte Barbar, der sanfte Wilde mit dem blonden Schopf, der Rod eben, sich ihrer Sehnsucht erbarmen würde.

Als Frau Nannini gegen 19.15 Uhr das stimmungsmäßige Plansoll, ein Drittel der Softie-Fans von den Bänken zu reißen, erfüllt hatte, verabschiedete sie sich nach nur einer geforderten Zugabe. Fans Handfläche wollte geschont sein vor dem großen Auftritt des Helden. Zu diesem Zeitpunkt ahnte Fan freilich noch nichts Böses.

Dabei hätte man es wissen müssen. Aber langsam. Denn was nun folgte, war eine geplante, vorsätzliche und arglistige Täuschung der Zuschauer. Eine Horde Roadies räumte Nanninis Bühne auffallend säuberlich auf, bis die Steward-Garde kam, mit riesigen Kisten (wahrscheinlich leer!) hin und her schurgelten, Kameras und Lichtanlagen (wahrscheinlich Attrappen) installierte. Recht hurtig wurde alsdann ein riesiges Stoffplakat vor die Bühne gehängt. Es nahte der große Auftritt, dachte der Fan und steigerte die Laune durch Tanz, Klatsch, Sauf und Freß bis ins schier Überfröhliche. In Wahrheit jedoch diente die heimtückische Plane dazu, den unvollständigen Bühnenaufbau zu verdecken. Denn schon zu diesem Zeitpunkt stand felsenfest: Herr Steward war unpäßlich. Will heißen: Der Termin paßte ihm nicht. Aber langsam.

Denn der vor Liebe blinde Fan glaubte noch arglos an die Verheißung der 57 Mark teuren Karte. Voller Spaß wurde »la ola« eingeübt, mehrere Aerobic-Gruppen fanden sich über erstaunliche Distanzen zusammen. Es wurde wahrlich 20.30 Uhr, bis der unbändige Spaß ins Ungeduldige überglitt. Auffordernd wurde mit den Tickets gen Bühne gewedelt, die Musikpausen schnell für ein paar aufmunternde Pfiffe genutzt. Die Aerobic-Aktivisten waren längst in sich zusammengefallen, die Picknickkörbe leer. Ungeduld wandelte sich zum Unmut. Um 20.45 Uhr tönte ein gellendes Pfeif- und Buhrufekonzert durch die Waldbühne, das ohrenbetäubende Lautstärke annahm, als die Kameras für die Videoleinwände ganz offensichtlich abgebaut wurden. Von draußen war bereits auffälliges Lalülala der einrückenden Sicherheitskräfte zu vernehmen, und plötzlich kurvte eine Hundertschaft gorillaartiger Ordner heran, die sich bedrohlich vor der Bühne aufbauten.

Um 21.00 Uhr — als die Verzehrbuden längst ihren Umsatz gemacht hatten — fand sich aus den Reihen der starken Feiglinge endlich einer, der das Konzert absagte: Rod Steward könne leider wegen einer bösen Fischvergiftung nicht kommen, das könne ja nun jedem passieren, gell, und deshalb sollen wir nun gaaanz laaangsam und wooohlgeordnet nach Hause gehen. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten — nicht wenige saßen sich seit 16 Uhr den Hintern platt — so erschöpft, daß der Wutanfall rein verbal ablief. Die wohlgeschützte Bühne wurde nicht erstürmt, die Plane nicht abgefackelt. Aber es starb ein Idol.

Denn täuschen ließ sich niemand. Fischvergiftung, höhnte der Aerobic-Chor. Und plötzlich wußte auch der treueste Fan etwas Böses. »So war er schon immer, der Säufer, wahrscheinlich schwamm der Fisch in zuviel Whisky« oder »Der alte Sack soll doch aufhören, wenn er nicht mehr kann«. »Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn«, forderte ein Hertha-erfahrener Gesangsverein.

Und kam damit ungewollt der Wahrheit am nächsten. Ich nämlich (und mit mir die gesamte taz-Sportredaktion, die in weiser Voraussicht den Nichtauftritt vorhersagte) verwette mein letztes Hemd, das Steward weder vergiftet noch betrunken war. Rod Steward, so meine Behauptung, saß vor der Glotze und glotzte Fußball. Er ist nämlich besessen vom Fußball. Und nichts könnte wichtiger sein für den Rockopa als das Europapokalfinale am Mittwoch abend zwischen Olympique Marseille und Roter Stern Belgrad. Wenn der Ball rollt, wird eben nicht gesungen, basta. Selbst wenn dann der Rubel nicht rollt.

Dem Versprechen, das Konzert würde ganz bestimmt am 10. Juni nachgeholt, würde ich auf keinen Fall trauen. Am Ende ist dann wieder irgendein Nachholspieltag. Mein Tip: Karten zurück und Gruß an Rod: Mach dir's selber. Michaela Schießl