KOMMENTARE
: Fragen

■ Zum Bremer Parteitag der SPD

Es gehört zu den deprimierenden Eigenschaften der SPD, daß sie mit Vorliebe dort Geschlossenheit demonstriert, wo Streit angesagt ist. Natürlich sind Parteitage Instrumente im Wahlkampf. Eine Woche vor der Hamburger Wahl liegt es nahe, eine geschlossene Parteiführung zu präsentieren. Aber zwischen einem Ritual der Geschlossenheit, das aufgeboten wird, um einen zerreißenden Streit abzufangen, und einem Ritual, das abläuft, weil man in einer zerrissenen Realität gar nicht mehr zu streiten weiß, ist ein himmelweiter Unterschied. In Bremen geht es um den vehementen Druck der Realität selbst auf eine zurückgebliebene politische Vorstellungswelt. Woran artikulierte sich der Ost-West-Gegensatz, der auch ein Parteigegensatz ist, in Bremen? Etwa an der Organisation der Debatten? Artikulierte er sich nicht eher im Beifallsverhalten, in der Soziodynamik am Rand der Debatte, in den Ganggesprächen? Zeigen nicht die realsozialistischen Wahlergebnisse der Parteiführung eher einen Mangel an inhaltlichen Alternativen?

Ist dieses ökonomisch, sozial und kulturell geteilte Land nicht schon auf dem besten Wege, sich auch politisch zu spalten? Kann man heutzutage von Solidarität reden wie Johannes Rau, ohne zu sagen, wer da was opfern muß? Was heißt den „sozial“ und „demokratisch“ im vereinten Deutschland? Machen die sozialstaatlichen Garantien noch Sinn, wenn eine gesellschaftliche Umwälzung bewältigt werden muß? Ist das westliche Angebot sozialer Sicherheit wirksam, wenn die Verwaltungen fehlen, um es umzusetzen? Muß nicht eine Verwaltungsreform im großen Stil angezielt werden? Muß man nicht dann in den Streit mit gewerkschaftlicher Besitzstandswahrung geraten? Kann die Demokratie einfach von oben her auf den Osten übertragen werden? Geht es nicht um die Demokratisierung von Ostdeutschland? Müßte diese Frage nicht im Zentrum eines sozialdemokratischen Parteitages stehen? Artikuliert sich nicht jetzt im nachhinein, in der Hauptstadtdebatte, der Unwillen, die Verachtung und die Wut der Westdeutschen, die man zuvor nicht gefragt hatte, über die kostspieligen Ostdeutschen? Wird nicht erst jetzt in Westdeutschland bewußt, daß mit der Vereinigung und dem Ende des Eisernen Vorhangs auch die saturierte Wohlstandsinsel Bundesrepublik untergegangen ist? Wäre es nicht geradezu die Pflicht der SPD, die Realität zu thematisieren, die die Regierung aus verständlichen Interessen leugnet? Eines steht jetzt schon fest: die Fragen, die vor dem Bremer Parteitag der SPD gestellt sind, bleiben dieselben. Klaus Hartung