Manche sahen im Hammer bereits die Sichel

■ Sie hat die Sexualität revolutioniert, Frauen krank und die Industrie reich gemacht: Seit genau 30 Jahren ist die Pille auf dem Markt. Die "Ovulationshemmer" besser: Hormonhämmer versetzten...

Manche sahen im Hammer bereits die Sichel Sie hat die Sexualität revolutioniert, Frauen krank und die Industrie reich gemacht: Seit genau 30 Jahren ist die Pille auf dem Markt. Die „Ovulationshemmer“ — besser: Hormonhämmer — versetzten Konservative in Angst und Schrecken. Manche befürchteten gar eine „kommunistische Machtübernahme“.

Sie war grün, hatte einen Durchmesser von sieben Millimetern, wog 140 Milligramm — und war ein echter Hammer: Mit 85 Milligramm Östrogen lag der Hormongehalt der ersten Pille rund vierzigmal höher als bei ihren heutigen Nachfahrinnen. Als 1961 „Anovlar“ in der BRD auf den Markt kam, konnte niemand ahnen, welche Furore die „Antibabypille“ machen, welche Kontroversen sie auslösen, welche Implikationen sie für das Geschlechtsleben der Deutschen haben sollte.

„Genuß ohne Reue“ oder gar die sexuelle Befreiung von Frau und Mann war gewiß nicht, was die Hormonforscher beflügelte. Sie suchten vielmehr seit langem schon ein probates Mittel gegen die „Bevölkerungsexplosion“ — ein beliebtes Horrorszenario der weißen Weltminderheit seit den 50er Jahren.

Als „Vater der Pille“ ging der amerikanische Biologe Gregory Pincus in die Geschichte ein, der seit 1951 an einem hormonellen Kombinationspräparat experimentierte, das den Eisprung bei der Frau verhindern sollte. Seinen ersten Hormonklopper „Enovid“ ließ Pincus an rund tausend kinderreichen Frauen aus den Slums von San Juan/Puerto Rico „freiwillig“ ausprobieren. Die Erfolge lösten Begeisterung aus: die Pille wirkte so sicher wie kein anderes Verhütungsmittel zuvor. Die „Pincus-Pille“ kam 1960 auf den US-Markt, am 1. Juni 1961 zog Schering mit „Anvolar“ in der BRD nach. Doch die Öffentlichkeit kümmerte sich merkwürdigerweise zunächst kaum um dieses „ästhetische Verhütungsmittel“, das „ohne Manipulationen am Genitale“ effektiv eingesetzt werden konnte. Zwar gaben führende Gynäkologen der Pille bereits 1963 eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung, 1964 aber lag die Akzeptanzrate bei den Frauen im „fertilen Alter“ bei nur 1,7 Prozent. Übrigens wies der Waschzettel der Anovlar-Packung nur am Rande auf die kontrazeptive Wirkung des Mittels hin, im Vordergrund stand die Behandlung von Menstruationsbeschwerden.

Die Bescheidenheit bei der Nennung der Indikation entsprach dem Geist der damaligen Zeit: Sexualität und Verhütung wurden tabuisiert. Die Dissoziation von Koitus und Kinderkriegen — die Pille machte sie möglich — erregte Moral und Gemüter erst später. 1964 verfaßten rund 300 Mediziner, darunter 10 Frauen, das sogenannte „Ulmer Manifest“. Darin warnten sie „tief besorgt“ vor einer Entwicklung, „die durch die öffentliche Propaganda für die Geburtenregelung als angebliches Mittel gegen die Abtreibungsseuche und durch die zunehmende Sexualisierung unseres öffentlichen Lebens die biologische und charakteristische Substanz unseres Volkes bedroht“. Sie drohten mit der Aufweichung der bürgerlichen Moral, „Voraussetzung für die kommunistische Machtübernahme“. Andere reagierten gelassener, wie etwa die Adressatin des Manifestes, die damalige Gesundheitsministerin Elisabeth Schwarzhaupt. Sie befand: „Natürlich hat der Mensch ein Recht auf ein glückliches Sexualleben.“ Die Diskussion um die Pille hatte begonnen.

Auch den Medien war das neue Verhütungsmittel immer wieder eine Schlagzeile wert. So kursierte etwa im Herbst 1966 in der gesamten BRD-Presse die Meldung, ein evangelischer Pfarrer in Frankfurt habe beim Erntedankfest eine Pillenpackung auf den Altar gelegt. Der 'Spiegel‘ korrigierte den Bericht später: Es habe sich um eine leere Kondomschachtel gehandelt. Am 13. Oktober 1966 titelte die 'BZ‘: „Die Pille erobert Berlin“, und die Berliner Landeskonferenz der SDJ „Die Falken“ geriet 1967 in den 'Spiegel‘, weil sie verlangte, „daß die Antibabypille frei verkauft wird“. Der Bundesvorstand wird aufgefordert, sich bei der Gesundheitsministerin dafür einzusetzen. Die Genossin aber hatte dieses Ansinnen schon 1966 zurückgewiesen.

1968 verkündete Papst Paul VI. seine „Encyclica Humanae Vitae“, auch „Pillen-Enzyklika“, und zementierte damit noch einmal das kirchliche Verbot jeglicher Art von Empfängnisverhütung — abgesehen von Knaus-Ogino. Tausende KatholikInnen trieb er damit in den Protest, Hunderttausende in arge Gewissensnöte und in die Sünde. Aufzuhalten aber war der Vormarsch der Pille nicht mehr: 11,9 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter nahmen sie bereits, 10 Jahre nach Einführung lag der Anteil schon bei 25,6 Prozent, und im Jahr 1976 setzte sie mit 32,8 Prozent die bis dato Höchstmarke.

Zweifellos fühlten sich viele Frauen durch die Pille zunächst „frei“, befreit von der permanenten Angst vor einem dicken Bauch, der allmonatlichen Zitterpartie.

Doch der Siegeszug der Ovulationshemmerwar stets von der Diskussion über Nebenwirkungen begleitet. Erhöhtes Krebsrisiko, Thrombosegefahr, Kreislaufbeschwerden, Lebererkrankungen, Diabetes, Stoffwechselstörungen, Migräne, Depressionen, Libidoverlust... Kaum ein pharmazeutisches Präparat stand je so im Kreuzfeuer der Kritik. Pharma-Industrie, Wissenschaft und ÄrztInnen warfen sich für die Pille in die Bresche. Kaum ein Präparat wurde so erforscht und getestet — umstritten ist es dennoch bis heute.

Die Pille veränderte aber nicht nur den weiblichen Organimus, sondern auch die heterosexuellen Beziehungen. Im Zeitalter p.P. war es für die Männer noch einfacher geworden, die Verantwortung für die Verhütung abzuschieben. Sie lag jetzt ganz bei den Frauen, die die Sicherheit zu garantieren hatten, für die die Pille stand. Sie waren nun rund um den Monat geschützt, also allzeit bereit. O Freiheit! Lust war nun eine Frage des Wollens, und wer keine hatte, tat sich in Zeiten der „sexuellen Revolution“ nicht nur gegenüber dem Partner, sondern auch gegenüber sich selbst mit einer Entschuldigung schwer.

Und daran hat sich bis heute nur unwesentlich etwas geändert. Es stimmt mitnichten, daß der Gebrauch der Pille in der BRD stark zurückgegangen ist. Noch immer nimmt fast jede dritte Frau zwischen 15 und 44 Jahren eines der inzwischen zahlreichen Präparate.„Weil ich praktisch den Männern nicht traue und es einfach sicherer ist, wenn ich es selber mache“, wie eine 24jährige Anwenderin sagt.

Zementiert wird diese Haltung derzeit auch von der sozialdemokratisch-liberalen Kampagne für die „Pille auf Krankenschein“, mit der Forderung nach einer kostenlosen Vergabe von Verhütungsmitteln.Kostenlose Verhütungsmittel für Frauen — versteht sich. Von Kontrazeptiva für Männer ist höchstens in einer Fußnote die Rede. Zwar wird an der Pille für Ihn schon seit geraumer Zeit geforscht — allerdings low budget. Ob sie jemals reif für den Markt wird und dort auch die „Akzeptanz“ der in Sachen Sex so sensiblen Männer findet? Ulrike Helwerth

„Die Bundesregierung empfindet die Bezeichnung 'Antibabypille‘ als grob anstößig, und zwar, (...) vor allem, wegen der Verbindung ,Anti‘ und ,Baby‘, weil sich diese Dinge gegen den Menschenbegriff als solchen wenden. Die Bundesregierung ist aber nicht der Meinung, daß darin schon eine Verletzung des Art. 1 des Grundgesetzes zu erblicken ist. Sie vertraut aber darauf, daß alle Personen, die sich dieses sprachlichen Mißbrauchs schuldig machen, künftig etwas dezenter verfahren.“

(Bundesinnenminister Höcherl 1964)