Mit dem Segen der Unesco

Schorfheide-Chorin ist seit Freitag größtes Biosphärenreservat/ Gesetzeslage günstig für Naturschutz/Investoren und Jäger bedrohen den Naturpark/ Hilflose Biosphären-Aufbauleitung  ■ Von Winfried Sträter

„Wir werden hier Beispiele schaffen für mittelalterliche Hutewälder und für Feuchtwiesen, wo man seiner Geliebten Orchideen pflücken kann.“ Wenn Professor Michael Succow seine Phantasie ein wenig schweifen läßt, welche Herrlichkeiten die Natur in diesem Raum bieten wird, gerät er unweigerlich und anhaltend ins Schwärmen.

Die Region Schorfheide-Chorin nördlich von Berlin gehört zu den schönsten Hinterlassenschaften der DDR. Industrialisierung und landwirtschaftliche Ausbeutung sind ihr weitgehend erspart geblieben. Hier erstrecken sich die größten zusammenhängenden Wälder der Mark Brandenburg, gibt es noch über 2.000 Moore aller Art, selbst wachsende, lebende Moore, klare Seen, in denen noch gebadet werden darf, Biber, Fischotter, Kraniche, Seeadler, Schreiadler. Seit Freitag kann sich die Schorfheide-Chorin mit dem Segen der Unesco „Biosphärenreservat“ nennen — eines von weltweit 300 zum Schutz wertvoller urwüchsiger Landschaften.

Als der Brandenburgische Umweltminister Mathias Platzeck am Freitag am Werbellinsee die Unesco- Urkunde entgegennahm, ging für Professor Michael Succow, einen der engagiertesten Umweltschützer der Ex-DDR, ein Traum in Erfüllung. Zehn Jahre lang hatte er um die Einrichtung eines Naturparks für die Region gekämpft. Heute ist die Schorfheide-Chorin das ehrgeizigste, weil größte Naturparkprojekt in Deutschland — zehn Mal so groß wie der Nationalpark Bayerischer Wald.

Gesetzlich ist dieser Naturpark so gut geschützt, daß Naturschützer in der alten Bundesrepublik davon nur träumen können. Ob es um Bauprojekte, die Asphaltierung alter Pflasterstraßen oder das Abholzen von Alleebäumen geht — in allen Fragen des Kultur- und Landschaftsschutzes darf nicht ohne die Leitung des Biosphärenreservates gehandelt werden.

Die Zukunft der Region sieht für den Naturschutz dennoch düster aus. Die Begehrlichkeiten kapitalkräftiger westlicher Investoren gerade in dieser einzigartigen Landschaft sind außerordentlich groß. Bezeichnendes Beispiel: eine LPG in dem kleinen Dorf Temmen ist als Modellhof für ökologischen Landbau vorgesehen. Dessen ungeachtet versuchen Investoren einen Golfplatz zu errichten. Die Aufbauleitung des Biosphärenreservates weiß davon, doch sie weiß nicht, wie sie dagegen vorgehen soll. Die Aufbauleitung ist in ihrer bisherigen personellen Zusammensetzung völlig überfordert, ihre gesetzlichen Aufgaben wahrzunehmen. Eine Handvoll Einzelkämpfer wurschtelt ohne Konzept vor sich hin. Noch ist nicht einmal ein Jurist da, der bei Verstößen gegen die Biosphären-Verordnung auf den Plan treten kann. Zum 1.Juli soll einer eingestellt werden.

Vor allem hat die Aufbauleitung keinen Überblick darüber, was in dem Schutzgebiet passiert. Sie hat kein Alarmsystem entwickelt, mit dem sie frühzeitig Verstöße gegen den Natur- und Kulturschutz registrieren kann. So steht zu befürchten, daß Investoren Fakten schaffen, die trotz der eindeutigen Rechtslage später nicht mehr zu revidieren sind.

Ein Teil der Gemeinden ist alles andere als begeistert, daß die Schorfheide-Chorin ein exklusives Naturschutzgebiet sein soll. Sie sehen das als Hindernis für ihre wirtschaftliche Entwicklung an. Bei einer Debatte über die Asphaltierung einer Pflasterstraße im 200-Seelen-Dorf Steinhöfel empfingen die Dörfler die Biosphärenvertreter vor einigen Tagen mit wütenden Beschimpfungen. Die Biosphären-Aufbauleitung versagt nahezu vollständig bei der Aufgabe, der ansässigen Bevölkerung Konzepte für die konkrete Realisierung von Natur- und Kulturschutzaufgaben anzubieten. Auch verbreitet sie bislang kaum Informationen über die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die der Naturpark den Leuten bieten könnte.

Nicht zuletzt wird der Naturpark durch Jagdgelüste gefährdet. Von den mittelalterlichen Feudalherrschern bis zu ihren neuzeitlichen Nachfahren Göring, Mielke, Honecker war die Schorfheide das begehrteste deutsche Jagdgebiet. Der Wildbestand wird zum Schaden der Natur künstlich hochgehalten. Immer noch: denn der westdeutsche Geldadel steht bereits Gewehr bei Fuß. Ihm gegenüber steht seit Freitag eine Altherrenriege, die nun das Kuratorium und den Vorstand des Biosphärenreservates bildet. Landräte und Politiker wurden nach einem undurchsichtigen Wahl- und Auswahlverfahren in diese Gremien gesteckt. Interessenvertreter des Naturschutzes sind — mit Ausnahme von Professor Succow — nicht vertreten.

Den Vorsitz führt der grüne Brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck. In der entscheidenden Frage, ob er das Biosphären-Management, die Aufbauleitung, personell zu einer handlungsfähigen Institution aufbauen will und kann, hält sich Platzeck bedeckt. „Dazu sage ich noch nichts“, war sein Kommentar auf der Pressekonferenz am Freitag. Dabei steht für ihn eine Menge auf dem Spiel. Als grüner Umweltminister kann er es sich nicht leisten, daß das prestigeträchtige Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin trotz der außergewöhnlich günstigen Gesetzeslage ein Fehlschlag wird.