Die halbe Wahrheit-betr.: "Und es bewegt sich doch", taz vom 24.5.91

betr.: „Und es bewegt sich doch“, taz vom 24.5.91

Mit zwei geschickt gesetzten Stichen (das „Dogma“ der Ächtung des Krieges und dessen „gebetsmühlenartig“ wiederholte Vergeblichkeit) verschafft sich Micha Brunlik Gehör inmitten seines feindbildlichen Lagers (=Friedensbewegung) und läßt uns bedenken, daß jedes Ding seine Vor- und Nachteile hat. Auch der vielgeschmähte Golfkrieg sei besser, als sein Ruf, denn die Massentötung von Hunderttausenden Zivilisten, Zerstörung des Landes, Hunger, Seuchen, Umweltkatastrophe, Elend habe sich an einem Punkt doch noch als zweckdienlich erwiesen. Dieses letzte Mittel habe das Vorletzte erst möglich gemacht: die politische Lösung des Nah-Ost-Konfliktes am Konferenztisch. Warum wurde diese nicht schon früher versucht?

Den Wunsch, die Nah-Ost-Konferenz als Tabu zu behandeln, konnte man bisher Israel nicht abschlagen! Jetzt aber, nach der Vorleistung von einer Viertel Million getöteten Arabern wird sich Shamir in den Friedensprozeß einlassen müssen. Sicherheitshalber sollten noch die Staaten, die bisher zögerten, Israel als Staat anerkennen, um damit Voraussetzungen zu schaffen, meint Micha Brunlik. Voraussetzungen wofür? (späteres Palästina nicht ausgeschlossen).

Die sinngemäß nachvollzogenen Schlußfolgerungen dieses parlamentarischen Opportunikers sind genauso gefährlich wie niederträchtig — denn sie sind die halbe Wahrheit.

Die andere Hälfte der Wahrheit ist die israelische Friedensbewegung „peace now“, welche aus lauter schlechtem Gewissen von der ganzen Welt ignoriert und alleingelassen wird. Die andere Hälfte sind Schriftsteller wie Uri Avneri, Amos Os, Künstler, Philosophen, Anwälte, Lehrer, Ärzte und viele andere mit ungeheuerlicher Zivilcourage: da ist der hungerstreikende Abie Nathan der Weise, der sich das Recht mit dem „Feind“ zu reden, erkämpfen will und die mutigen „Frauen in Schwarz“ am Tempelberg, die jeden Freitag gegen die Unterdrückung der Palästinenser demonstrieren. Nicht nur wir, auch die Israelis gingen damals zu Hunderttausenden auf die Straße gegen den Golfkrieg und forderten durch sofortige Friedensverhandlungen diesen abzuwenden. Nicht nur unsere, auch ihre Regierung hat ihre Stimmen überhört.

Und auch dann, wenn das vielgelittene Volk der Kurden morgen sein freies Kurdistan gründet (was ich ihm genauso von Herzen wünsche, wie den Palästinensern ihr Palästina und den Juden ihr Israel) und das alles ein Ergebnis des Golfkrieges wäre — könnte mich Micha Brunlik nicht davon überzeugen, daß dasselbe nicht auch ohne Krieg, am Verhandlungstisch hätte erreicht werden können. Es wurde nur noch nie wirklich versucht! Magda Szabo, Aidenbach

[...] Was sagen Sie eigentlich aus, außer daß Sie gegen die Nahost-Friedenskonferenz polemisieren, ohne zu begründen, inwiefern Sie eine bessere Alternative haben?

Vor allem, gleich in den ersten Sätzen lassen Sie Ihrer altbekannten Aversion gegen die Friedensbewegung freien Lauf, die um so absurder (und für mich auch schmerzlicher) ist, als Sie und Ihre Freunde uns um ein Vielfaches feindlicher gesinnt sind als etwa den Waffenhändlern.

Die dumme Bemerkung mit der „gebetsmühlenartigen Wiederholung des Dogmas“ zeigt einerseits, daß Sie nie bereit waren, uns überhaupt zuzuhören und andererseits, wie absurd irrational Ihr bellizistischer Standpunkt ist. Es ging uns ja gar nicht darum zu behaupten, daß alle Probleme durch den Golfkrieg erschwert worden seien; das haben wir in dieser Form nie behauptet, und das ist auch gar nicht nötig, denn um die Sinnlosigkeit des Krieges zu beweisen, genügt ja eine nüchterne Kosten-Nutzen-Bilanz, die eindeutig zeigt, daß die Probleme insgesamt eher erschwert worden sind (womit ich nicht sagen will, daß eine derartige Bilanz angemessen ist, um die katastrophalen Folgen eines Krieges — ich hoffe, Sie haben die Leitreportage in derselben Ausgabe gelesen — zu beurteilen, sie stellt aber jedenfalls ein rational zugängliches Argument dar).

Umgekehrt scheint es für Ihre Kriegsbegründungsideologie schon ein Erfolg zu sein, wenn der Krieg nicht alle Probleme erschwert hat, das ist es zumindest, was Sie sagen!

Wenn Sie die „optimale Nachgolfkriegspolitik der USA“ loben, so verstehe ich eigentlich nicht, was die USA daran gehindert hat, schon vorher eine optimale Politik zu betreiben. Und es drängt sich mir die Frage auf, ob die milliardenschweren Rüstungsexporte in arabische Länder, die die USA jetzt planen, auch zu dieser optimalen Politik gehören.

[...] Was ich an Ihrem Kommentar zum Kotzen finde, ist daß Sie ganz klar machen und das offenbar auch gutheißen, daß es hier nicht um Menschen, sondern um blanke Machtpolitik geht — und wer keine Macht hat, wie die PalästinenserInnen oder die „befriedeten“ Libanesen, braucht eben auch nur am Rande erwähnt zu werden, als Objekte der Politik, die von anderen gemacht wird — von denen, die die Macht haben. Folgerichtig bedauern Sie auch nicht das Leiden der Machtlosen, sondern den mangelnden Einfluß der Europäer — als hätten die nicht schon genug Schaden in der Region angerichtet.

Daß die Politik so, nämlich gemäß Macchiavellis Postulat läuft beziehungsweise daß die Mehrheit der Menschen es bisher zugelassen hat, daß die Politik so läuft — das wissen wir. Aber daß Sie (hatten Sie einmal eine Utopie?) sich diesem Kalkül beugen, das schockiert mich. Toni Menninger, Würzburg