KOMMENTARE
: Kreuzzug oder Ökumene

■ Der Papst auf seinem Besuch in Ostpolen

Die Gleichung Pole gleich Katholik war immer verführerisch und stets gleichermaßen falsch. Unter der Herrschaft des Realsozialismus sorgte sie für eine scheinhafte Homogenität „der Gesellschaft“ gegenüber „den da oben“, das heißt: der kommunistischen Nomenklatur. Für die Gleichung sprach, daß tatsächlich über 90 Prozent der Polen innerhalb der Landesgrenzen von 1945 dem Katholizismus anhängen. Aber der „Rest“ blieb eben außen vor: die wenigen Juden, die überlebt hatten und geblieben waren, die Protestanten im polnischen Norden und die Russisch- beziehungsweise Ukrainisch-Orthodoxen diesseits des Bug.

Noch bevor die katholische Kirche für kurze Zeit in die Katakomben ging, hielt sie triumphierenden Einzug — zum Beispiel in die Gotteshäuser, die ein paar Jahrhunderte lang bedauerlicherweise die lutheranischen Häretiker beherbergt hatten. Für die evangelischen Masuren in Ostpreußen, auch sie immerhin polnischer Herkunft, führten solche Willkürakte neben manch anderen Disriminierungen zur Entfremdung von der polnischen Nation und schließlich zur Massenemigration in die Bundesrepublik.

Eine solch einfache, wenngleich wenig humane Lösung verbot sich gegenüber den Anhängern der Orthodoxie im Osten Polens, waren diese doch durch viele — auch verwandschaftliche — Fäden mit den Glaubensbrüdern in der Ukraine und Belorußland verbunden, mithin unter dem Schutz des großen Bruders. Mit dem Zerfall des sowjetischen Imperiums drohen die alten Konflikte im Osten, die immer zugleich ethnisch und religiös bedingt waren, wieder elementar aufzubrechen. Zum Sturmboten wurde der Streit, der sich im heute zur Ukraine gehörenden Lwow (Lemberg) entzündete, als dort Gotteshäuser von den Orthodoxen an die zu Rom gehörende und jahrzehntelang verfolgte uniierte Kirche zurückgegeben werden sollten. Spiegelbildlich haben jetzt im östlichen Polen, im Przemysl, katholische Gläubige eine Karmeliterkirche besetzt, um sie der zeitweiligen Nutzung durch Orthodoxe zu entziehen.

Unter diesen Umständen wird es zu einem Politikum mit weitreichenden Folgen, ob Johannes PaulII. bei seinem Besuch im östlichen Polen als Kreuzträger des siegreichen Katholizismus oder im Geist der Ökumene auftritt. Ein missionierender Oberhirte wird die Orthodoxen in einer Identität bestärken, die aus eingebildeten wie wirklichen Leiden die Kraft zum Glauben schöpft — und zum Haß. Die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen Serben und Kroaten, bei der die serbisch-orthodoxe Seite ebenso ungerührt bleibt angesichts blutiger Gewalt wie die katholisch-kroatische, zeigt den möglichen Endpunkt in einem Glaubenskrieg, in dem nur noch Sprachlosigkeit herrscht. Unglücklicherweise vereint der gegenwärtige Papst beide Tendenzen in seiner Person: den Triumphalismus und den Geist der Versöhnung. Christian Semler