KOMMENTAR
: Verschärfter Status quo

■ Große Mehrheit für die regierenden Sozialdemokraten Ein unerwarteter Erfolg der neuen GAL

Von Hamburg nichts Neues — aber das mit sensationellen Ergebnissen. Nach einem überaus langweiligen Wahlkampf ist aus der SPD-Dauerherrschaft wieder eine SPD-Hochburg geworden. Die Sozialdemokraten haben trotz dieses Wahlkampfes, trotz der geringsten Wahlbeteiligung der Nachkriegszeit möglicherweise sogar die absolute Mehrheit aller Bürgerschaftssitze erobert. Der Hamburger Wähler ist in den Bann der Sozialdemokratie zurückgekehrt und hat selbst einer korrigierenden FDP eine Absage erteilt. Ist also Henning Voscherau der Triumphator? Schwer zu glauben, daß die Hamburger durch die regierenden Sozialdemokraten derart in die Begeisterung getrieben worden sind. Der Hamburger Bürgermeister hat praktisch den Status quo verwaltet. Allerdings tat er es mit einem modernen Image: Voscherau überzeugt als Moderator einer Dienstleistungsmetropole. Spektakuläre Erfolge fehlten jedoch gänzlich. Kritischere Geister, von denen es schließlich auch eine Menge in der Hafenstadt gibt, weisen darauf hin, daß die SPD bei keiner der akuten Großstadtprobleme irgendwelche richtungsweisenden Entscheidungen zustande gebracht hat. Aber der Status quo hat für Hamburg gegenwärtig durchaus angenehme Seiten. Die Stadt boomt. Im Osten hat sich der traditionelle Wirtschaftsraum der Hansestadt wieder aufgetan. Daß die Öffnung des Ostens auch die innere Geographie verschoben hat und Hamburg auf die Dauer in Berührung mit den wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen des Ostens bringen wird, braucht den real existierenden Hamburger im Augenblick noch nicht zu interessieren. Dieses Thema haben ohnehin alle Partein vermieden. Wahrscheinlich hat sich auch im Norden ein konstantes Motiv bewährt: Der westdeutsche Wähler entscheidet sich für die Partei, die Sicherheit garantiert. Dieses Motiv kann auch, wie in Rheinland-Pfalz, durchaus einen Parteiwechsel bewirken. In Hamburg hat es die Regierenden bestätigt.

Gewiß hat natürlich auch der Abwärtstrend der Bundes-CDU in Hamburg seine Spuren hinterlassen. Aber entscheidend war, daß die Hamburger CDU selbst als eine Regierungsalternative kaum durchgehen konnte. Sie hat keine politische Substanz, spekulierte zu durchsichtig auf das Sicherheitsbedürfnis des Wählers. Inzwischen hat man in Hamburg — und das ist nicht zuletzt das Verdienst der Hafenstraße — gelernt, daß eine moderne Großstadt eine Menge mehr Probleme und Widersprüche hat als eine Einfamilienhaussiedlung. Niemand glaubt, wie die CDU glauben zu machen versuchte, daß man eine Metropole im Rahmen verschärfter Verbrechensbekämpfung regieren kann. Die SPD konnte faktisch demonstrieren, daß es moderner und kompetenter ist, diese Probleme zu managen, statt sie obrigkeitsstaatlich beseitigen zu wollen. Eine solche Einstellung sieht fast wie eine liberale Haltung aus und das gilt in Hamburg eben schon als liberal genug.

Trotzdem wäre es falsch, in Hamburg eine mehrheitlich sozialdemokratische Stadt zu sehen. Allein die Fraktion der Wählerschaft, die für ein ökologisch orientiertes und demokratischeres Hamburg eintritt, geht sicher über zehn Prozent hinaus. Zuviele Hamburger haben sich in den letzten Jahren an Bürgeriniativen beteiligt und praktisch begriffen, wie undemokratisch diese Stadt regiert wird und wie sehr das ökologische Bewußtseins des Senats beispielsweise hinter München hinterherhinkt. Nur die GAL, die in den letzten Jahren das Hobby betrieb, die reine Lehre linker Politik gegen die Realo-Verräter zu bewahren, konnte verhindern, daß diese Wähler eine Rolle spielten. Die GAL hat solange signalisiert, daß Erfolg Verrat und Regieren Unterstützung des Systems heißt, bis sie selbst zerbrach. Kurz vor der Wahl spaltete sich die GAL; die Linken spalteten sich ab und endeten jetzt bei der Wahl im Marginalen; und erst drei Monate vor der Wahl trat praktisch eine neue, realpolitisch orientierte GAL wieder auf, die gerade kurz vor Termin ihre Kandidatenliste fertig hatte. Daß diese Partei jetzt schon über sieben Prozent erobert hat, ist eine kleine Sensation. Vor allem, wenn man bedenkt, mit welchen Verzögerungen innerparteiliche Vorgänge beim Wähler ankommen. Das zeigt, daß es in dieser Großstadt immerhin eine stabile politische Kraft gibt, die die Demokratisierung der Hamburger Verhältnisse will; das zeigt, daß eine Politik der ökologischen Modernisierung einer Großstadt durchaus mehrheitsfähig ist.

Für die Bundesgrünen wird der Erfolg der GAL eine große Ermutigung sein. Der Wähler hat den Parteitag in Neumünster verziehen oder ignoriert; und er honoriert offenbar selbst den verspäteten Willen, die Chancen zu nutzen. Der Weg der Grünen zur Partei der Länder ist erfolgreich. Gleichwohl umschreibt der Erfolg der GAL einen engen Rahmen. Er entspringt den sozialdemokratischen Anachronismen in Sachen Verkehrs- und Müllpolitik. Auch die GAL hat es nicht ernsthaft versucht, mit ihrer politischen Thematik die Hamburger Binnenkultur zu durchbrechen. Weder die Hamburger noch die Hamburger Parteien sind darauf vorbereitet, daß die Hansestadt zur Einwandererstadt wird. Weder im Wahlkampf noch sonst in Hamburg spürt man, daß die zweitreichste Stadt Europas am Rande der östlichen Armut liegt. Man kann den Eindruck bekommen, daß mit der Hamburger Wahl die bundesdeutschen Wahltrends an ihrem Ende angelangt sind. Die beiden Wahlsieger, die SPD und die GAL, sollten sich hüten, aus ihrem gegenwärtigen Erfolg allzuviel Zukunft herauszulesen. Klaus Hartung