Marilyn und die Geister

■ Die Ursendung der Rias/SWF-Produktion „Marilyns Lichtjahr“ um 20 Uhr auf Rias1

Erwartet hätte das wohl niemand. Ausgrechnet die Monroe, kurviges, quirliges Sexsymbol der fünfziger Jahre, versteht etwas von klassischer Musik. „Paganini: Kehlkopfkrebs, wußtest du das?“ raunt sie kehlig. „Mahler: Stretokokken-Infektion, Tschaikowsky: Cholera. Und jede gut Oper ist ein Suchbefehl...“ Leiden und Sehnsucht, ja, das weiß der blonde Mythos inzwischen, waren schon immer der Anfang aller Kunst. Überhaupt gibt sich die Monroe auch sonst nicht „ohne“: Nach cirka 30 Jahren Unterwelt (ein lächerliches Alter für dort drüben) ist ihr ein wenig Weisheit angediehen. Vielleicht gibt sie sich gerade drum mal öfter offen melancholisch? Doch keine Bange, von den „Kolleginnen“ aus der Mythologie trennt unsere Wasserstoffsuperoxyd-Bombe noch immer Sinnlichkeit und Common Sense.

Zwar lockt sie den schwermütigen Bart mit düsteren gehauchten Worten — „Komm, komm, Muskelgeschwulst... lebendig begraben...“ — in dies Zwischenreich, doch ist der Wäschekorb nie allzuhoch gehängt. Wenn dieser Mega-Mythos gar zu fatalistisch übers Leben spricht, wechselt er schnell das Thema. Wir atmen auf. Ein herrliches, geseufztes „underwear...“ bringt uns Erlösung. „Unterhöschen? Die mag ich nicht! Ich möchte nackt vor Gott stehen!“ Und alle, alle sollen gucken. Bravo, Marilyn, so lieben wir dich! Doch leider herrschen auch im Hades prüde Sitten. Die Belegschaft ist wohl überaltert. Und wie dogmatisch die mit jungen Geistern umgeht, das kennen wir ja auch Cocteaus Orphée. So packt die Monroe eben sprachlich aus. Wenn auch nach ihrer sprunghaften Logik. Denn „hier ist alles anders... Nur zuhören, nicht fragen...“ — Wie Bart es schafft, so auf Tuchfühlung mit der Monroe zu kommen? Das war nicht schwer, denn leider trauert er um seine kleine Schwester, Lenchen, ein „Mongolchen“. Dazu hört er die Oper Orpheus und Euridike von Gluck. Das rührte die Monroe — und mit den Ouverture-Klängen war sie da. „Hello!“ raunt sie erst heiser. Dann lockt sie ihn, den Bruder, weiht ihn in die Spielregeln des Jenseits ein. Vor allem eins: „Nicht umdrehn! Nicht in die Kamera schaun!“ Auch gibt es magische Eintritts-Riten. Die Stöckelschuhe beispielsweise. In die zwängt Bart die viel zu großen Füße. Nun kann er fast alles sehen, trotz seiner Augenbinde, was ihm der blonde Engel prickelnd in sein Ohr raunt. Daß blond nicht gleich blond sei, etwa. „Bei dir vielleicht!“ Und — schwupp — kriegt er einen hellen Haarschopf verpaßt. Dann noch der Lippenstift — „blood red“... und schnell, das Kleid. „Horizontale Metamorphose! Du siehst fantastisch aus!“ jauchzt die MM. „Und jetzt: auf die Beerdigung. Lenchen hätte das gefallen. Ob Bart sich traut? Wir wünschen ihm viel Glück — und Gluck! Gaby Hartel