Strandgut aus Kiel eingelaufen

■ Ein Schiff wird kommen: Marine kehrt nach 50 Jahren mit Agitationsmaterial bewaffnet zurück/ Echte Helden tragen Sonnenbrillen

Auf der »Krabbe« geht die Angst um. Das Landungsschiff der Bundesmarine mit dem Kosenamen aus der Unterwasserwelt ist eines von sechs Schiffen, die von Kiel aus nach zweiwöchiger Fahrt durch die neuen Ländereien gestern in Berlin festmachten. Kurz vor dem Zielhafen Spandau erreicht den Bootsmann Armin Brausendorf über Funk die Nachricht, daß mit »Störaktionen« durch Wehrdienstgegner zu rechnen sei. Die Verbindung »Störaktion« und Berlin läßt die westdeutsche Besatzung Schlimmes ahnen: Autonome Chaoten mit Baseballschlägern könnten das Schiff entern und die Mannschaft verhauen. Von Farbbeuteln und Eiern wird gesprochen und davon, daß die Demonstranten mit Schlauchbooten kommen würden. Also gibt der Bootsmann den Befehl: »Wasserschläuche anschließen«.

1941 ging die deutsche Marine zum letzten Mal in Berlin vor Anker, fünf Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion. Heute ist Entspannung angesagt, und deshalb haben die »blauen Jungs« eine Werbetour nötig, mit viel Selbstdarstellung und offenen Türen. Der alte Feind schwimmt durch den Osten, zum Anfassen und Liebgewinnen.

Kurz vor dem Spandauer Ankerplatz, am rechten Ufer, stehen die ersten »Störer«. »Gegen Wehrpflicht, Zwangsdienst, Militär« steht auf ihrem Spruchband. Reale Gefahr scheint davon nicht auszugehen. Aber von Steuerbord nähert sich ein schwimmendes Objekt, das sich bei näherem Hinsehen als Kinderschlauchboot erweist. Besatzung: ein Wehrpflichtgegner — auf dem Kopf einen »Blauhelm«, Marke Badekappe. Aus dem Hinterhalt taucht ein zweites Schlauchboot auf, Besatzung vier Leute, mit Spruchband gegen Kampfgelüste im UNO-Takt. »Hände weg vom Grundgesetz«, fordern sie.

Zwischen den beiden »Störschiffen« wechselt das Polizeiboot »Graureiher« und versucht die Botschaften der Wehrdienstgegner vor den laufenden Fernsehkameras zu verdecken. Protest ist nicht erwünscht — Berlin soll sich freuen. Immerhin ist dieser Tag historisch, am Ufer werden sogar Briefsonderstempel ausgegeben, und das Luftwaffenmusikkorps 5 bläst Das ist die Berliner Luft... in den Smog.

Ausgerechnet die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) nimmt sich dem Einzelkämpfer im Kinderschlauchboot an. Ihr Boot geht längsseits, eine Mitarbeiterin packt den Demonstranten am Fuß und zieht ihn samt Boot ans Ufer, dahin, wo zwei Feldjäger der Bundeswehr stehen.

Auf der »Krabbe« läßt die Angst nach. »War ja alles ganz friedlich«, freut sich der dialogbereite Kapitän, der immerhin Verständnis für die Demonstranten zeigt. Trotzdem bleibt die Mannschaft skeptisch. In ihrer Ausgangsuniform (Marinejargon »Erste Geige«) trauen sie sich nicht in die Stadt. Sie bleiben lieber an Bord. Da gibt's einen Videorecorder, mit dem schauen sie öfters die Sechsstundenfassung von Das Boot an. Dazu setzen sie sich einen Stahlhelm und eine Sonnenbrille auf und spielen in verteilten Rollen vor der Glotze mit. Solche Helden braucht die Hauptstadt. Torsten Preuß