Die Trabrennbahn des kleinen Mannes

■ In die Trabrennbahn Karlshorst zieht es oft bis zu 30.000 Besucher/ Ein Drittel der Pferdelotto-Fans kommt mittlerweile aus dem Westen Berlins/ Nach Hoppegarten gehen die kleinen Leute — die Reichen tippen in Mariendorf

Jeder Ostberliner weiß, daß »in Karlshorst die Russen sitzen«. In der Halbstadt machten und machen Geschichten von desertierenden und Amok laufenden Soldaten die Runde. Die Russen machten Karlshorst berühmt: Einige Leute kamen nur in diesen Ostberliner Stadtteil, weil man im Magazin der sowjetischen Offiziere gelegentlich »so schönen, echten russischen Honig« oder andere Delikatessen kaufen konnte. Nun packen die Russen die Koffer — wer Karlshorst trotzdem noch besucht, gehört deshalb zu den vom Pferdetoto begeisterten Bürgern dieser Stadt.

Zumindest für die meisten Ostberliner ist die Karlshorster Trabrennbahn kein Fremdwort. An jedem Dienstag und Sonnabend starten dort, zeitversetzt zur Mariendorfer Bahn, Pferderennen. Mindestens 2.000, am Wochenende sogar 4.000 Stammbesucher finden dann ihren Weg in das Stadion. Zu großen Renntagen kommen jedoch weit mehr Zuschauer. Dann drängeln sich an die 20.000 bis 30.000 Leute auf der Tribühne und vor den Wettschaltern. Die Umsätze sind gut, doch längst noch nicht befriedigend. Mit der Westberliner Trabrennbahn verglichen, ist Karlshorst mit seinen 24 Hektar zwar zweieinhalb mal so groß, aber an den Wettschaltern nimmt man nicht einmal die Hälfte der Mariendorfer Summe ein. Die schlechte wirtschaftliche Lage in Ost-Berlin macht sich auch hier bemerkbar. Obwohl die Gewinnchancen und auch die prozentuale Gewinnausschüttung bei Pferdewetten höher als bei jeder Klassenlotterie sind, ist schon jetzt schätzungsweise ungefähr jeder dritte der wettenden Stammkunden ein Westberliner.

Karlshorst hat als früherer Subventionsbetrieb eine Schuldenaltlast von gut acht bis neun Milliarden Mark an die Treuhand abzuzahlen. Der neue Vorstand mit landesweit üblichem Westberater plant deswegen unter anderem auch, einige Teile des Rennbahngeländes zu verkaufen. Natürlich sind auch die einstmals angestellten Trainer längst in die Selbständigkeit entlassen. Man erhofft sich nicht zuletzt dadurch auch mehr ehrliche Konkurrenz bei zukünftigen Pferderennen, mit der es unter sozialistischen Verhältnissen wohl nicht so weit her gewesen sein soll. Das einst dazugehörige Gestüt und die Sportgruppe für touristisches Reiten sind bereits abgetrennt und müssen selbst zusehen, wie sie weiterkommen. Obwohl die Eigentumsverhältnisse zwar auch hier noch nicht hundertprozentig geklärt sind, wird in Karlshorst der alte Besitzer höchstwahrscheinlich nicht wieder der neue sein.

Neun Milliarden Mark Schulden bei der Treuhand

Dem Pferderennsportclub Union, reich und von jeher renommierter Tummelplatz der oberen Zehntausend, wurde zumindest im sowjetisch besetzten Sektor die Mitgliedschaft von Kriegsverbrechern zum Verhängnis. Er wurde von den Sowjets unmittelbar nach dem Krieg enteignet — nach einem bundesdeutschen Richterspruch unwiderruflich.

Schon 1946 ließ Bersarin, der damalige sowjetische Stadtkommandant von Berlin, in Karlshorst ein Trabrennen veranstalten. Es war das erste Sportereignis nach dem Krieg in ganz Deutschland überhaupt. Später blieb Karlshorst die einzige Trabrennbahn in der DDR. »Der nur schwer wieder rückgängig zu machende Nachkriegsumbau von der einstigen Hindernisrennbahn zur Trabrennbahn macht das Gelände für den Unionsportclub ohnehin unattraktiv. Trabrennen sind der Wettsport des kleinen Mannes und damit nichts für den Unionsportclub.« Der das sagt, heißt Stemper und ist der obligatorische »Wessi«, der zu allen neuen Vorständen gehört. Er möchte sich nur als Berater verstanden wissen, sei freiwillig und gerne hier. »Die richtigen Wetthaie und Pferdesportschickimicki halten sich sowieso mehr beim historisch älteren, aber auch hochnäsigeren Galopprennsport auf«, meint er.

Atmosphäre wie bei Hempels unterm Sofa

Ginge es nach ihm, würde er aus Karlshorst, als Alternative zu versnobten westlichen Vorbildern, einen familiären Freizeitpark machen. Doch bis dahin bedarf es noch einiges an Investitionen und Sponsoren. Wenn man einmal von der modernen Flutlichtanlage absieht und dem unmittelbaren Zuschauerbereich, findet sich weiter hinten im Gelände eher eine Atmosphäre wie »bei Hempels unterm Sofa«. Von Elite, Glanz und Glemmer der oberen Zehntausend findet man in Karlshorst bis heute keine Spur.

Vor den Toren der Stadt in Dahlwitz — Hoppegarten denkt man natürlich genau in die andere Richtung. Edle Pferde, schöne Frauen und reiche Männer wünscht man sich ins Stadion. Kurzum: Die Prominenz soll es sein, die diesem Gelände erst das richtige Flair verleiht. Immerhin gehört die Gesamtanlage mit ihren 440 Hektar tatsächlich zu den größten in Europa. Das weiß man natürlich in Hoppegarten und man will ihn wiederhaben — den Ruf, die wichtigste Rennbahn Deutschlands zu sein. Dafür bedarf es selbstverständlich einiger Investitionen und auch eines neuen Besitzers. Ob das Land Brandenburg soviel Geld hat, wird in Hoppegarten bezweifelt.

Der Mindestwetteinsatz liegt bei nur 2,50 Mark

Am liebsten sähe man es, wenn der alte Besitzer hier auch wieder der neue wäre. Geschäftsführer Boehlke vom neu gewählten Vorstand schnieft empört, wenn er berichtet, warum der Unionclub enteignet wurde. »Schließlich waren doch so viele Juden ebenfalls Mitglieder im Unionclub, bevor von Papen Vorsitzender des Vorstandes wurde«, so seine völlig unlogische Argumentation. Boehlke arbeitet schon 40 Jahre auf der Rennbahn und durfte unter der SED-Herrschaft nie etwas werden. Um so mehr will er sich jetzt für Hoppegarten einsetzen und dafür sorgen, daß diese Pferdegalopprennbahn zu ihrer alten Größe zurückfindet. Seine erste Amtshandlung, berichtet er mit dem Gebahren eines Uraltgeschäftsmannes, war das Abschaffen der zu sozialistischen Zeiten üblichen Reittouristik. Sponsoren werden gebraucht. Ein brandneues Werbeprospekt liegt vor, das über die glorreiche Geschichte und die Pläne für die Zukunft informiert. Glaubt man dem Prospekt und seinen Bildern, hatte die 1868 eröffnete Rennbahn den Höhepunkt ihrer Laufbahn in den Jahren 1937 bis 1938. Man erfährt zudem, daß der am letzten Wochenende in Hoppegarten stattgefundene Moderenntag auch schon ein alter Hut ist. Schon damals wurden die neusten Modelle der Kopfbedeckung der holden Weiblichkeit nicht nur von den Damen, sondern auch für die Damen extra vorgeführt.

Hell begeistert wäre man in Hoppegarten, wenn es wieder als gesellschaftliches Ereignis gelten würde seinen Fuß in das Hippodrom zu setzen und die Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur wieder zu regelmäßigen Besuchern der Rennbahn würde. Mit den Großen Tieren kämen dann auch die vielen kleinen, durch hohe Besucherzahlen mehr Sponsoren und überhaupt und vor allem hohe Wettumsätze. Der Mindestwetteinsatz beträgt momentan immer noch lediglich 2,50 DM.

Wenn die Eigentumsverhältnisse mit dem Land Brandenburg endgültig geklärt sind und beispielsweise der Unionclub das Gelände von der Treuhand kauft, kann es mit Verträgen für Investoren richtig losgehen. Immerhin läßt bereits Kaffeekönig Jacobs hier sein Rennpferd trainieren. Petra Markstein