Die IG Metall hält hof

■ Die IG Metall feiert und besinnt sich: Nach der Paulskirchen-Feier lud sie zum "Internationalen Zukunftsforum". Da allerdings wurden nicht vorrangig die Probleme der deutschen Einheit behandelt, sondern die...

Die IG Metall hält hof Die IG Metall feiert und besinnt sich: Nach der Paulskirchen-Feier lud sie zum „Internationalen Zukunftsforum“. Da allerdings wurden nicht vorrangig die Probleme der deutschen Einheit behandelt, sondern die Handlungsmöglichkeiten im globalen Maßstab.

AUS FRANKFURT MARTIN KEMPE

Die größte Gewerkschaft der Welt hatte geladen, und die Prominenz ließ sich nicht lumpen: Bundeskanzler Kohl und Jaques Delors, der EG-Präsident, beehrten bereits am Mittwoch die Feierstunde zum 100. Geburtstag der IG Metall in der Frankfurter Paulskirsche. Und auch für den zweitägigen Zukunftskongreß hatte die IGM jede Menge künstlerischer und politischer Prominenz aufgeboten: den hessischen Ministerpräsidenten Willi Eichel, das sozialdemokratische Heiligtum Willy Brandt, den spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzalez, den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, den ehemaligen Ministerpräsidenten von Tansania, Julius Nyerere und viele andere mehr.

Die IG Metall und ihr Vorsitzender Franz Steinkühler lieben es repräsentativ. Und so steht zu befürchten, daß die wirklichen Probleme der gewerkschaftlichen Arbeit, der gesellschaftspolitischen Reform unter den neuen Bedingungen der deutschen Einheit nur am Rand zur Sprache kommen werden. „Es gibt neben den deutsch-deutschen auch noch andere Probleme auf der Welt“, scheint die Botschaft des „Internationalen Zukunftsforums“ gestern und heute im Kongreßzentrum am Frankfurter Flughafen zu sein. Auf hochabstrakter Ebene wird über „Demokratie, Solidarität und Freiheit — Soziale Gerechtigkeit und ökologische Verantwortung in der einen Welt“ diskutiert. Aber wie sich die weltpolitischen Veränderungen seit der letzten großen Zukunftsdebatte der IG Metall 1988 auf die Handlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften in der Bundesrepublik und in der Welt auswirken, wurde kaum konkretisiert.

Immerhin nimmt die IG Metall voller Selbtbewußtsein eine Vorreiterrolle bei der Durchsetzung sozialer Standards in Europa und in der Welt ein: „Was wir im eigenen Land nicht durchsetzen“, ließ der wegen eines Kreislaufkollapses abwesende Vorsitzende Steinkühler verlesen, „das werden wir in Europa erst recht nicht erreichen.“ Und was in Deutschland durchgesetzt werden könne, „ist zugleich Hilfe und Ansporn für unsere Schwesterorganisationen“.

Der erste Tag des Kongresses stand im deutlichen Kontrast zu den aktuellen Problemen der Gewerkschaft mit der deutsch-deutschen Einheit: Willy Brandt sprach über die globalen Probleme nach Überwindung des Ost-West-Konflikts, Julius Nyerere forderte die Gewerkschaften, die Intellektuellen, die Geschäftsleute und Politiker des Nordens auf, jetzt konkrete Solidarität mit den armen Ländern zu praktizieren. Steinkühler lehnte in seinem Referat noch einmal „einseitige Opferideologien“ zuungunsten der „reichen“ westdeutschen Arbeitnehmer ab — was aber nicht gleichbedeutend sei mit „der Verweigerung von umfassenden Solidaritätsstrategien“. Die tarifpolitische Strategie der IG Metall läuft darauf hinaus, gegenüber den westdeutschen Unternehmern im Gesamtvolumen weiterhin so viel durchzusetzen wie eben möglich, dabei aber die Struktur der Forderungen zugunsten einer Umverteilung zwischen Arm und Reich zu verändern. Das bezieht sich auf die Lohnstruktur im eigenen Land ebenso wie auf das Wohlstandsgefälle zwischen Ost und West sowie Nord und Süd. Die Internationalisierung der Gewerkschaftsarbeit im Sinne handlungsfähiger globaler Strukturen steht ganz oben auf der Prioritätenliste.

Wie schwer Solidarität zwischen unterschiedlichen Gesellschaften allerdings konkret ist, hat gleich am ersten Tag der IGM-Jubiläumsfeierlichkeiten der Bürgerrechtler Jens Reich der Gewerkschaft ins Stammbuch geschrieben. Schon im eigenen Land, beim Interessenausgleich zwischen westdeutschen und ostdeutschen KollegInnen, sei die Kluft schier unüberbrückbar. Denn die Verheerungen des Realsozialismus hätten die Menschen unfähig gemacht, für ihre eigenen Interessen einzustehen. „Wir haben die einfachsten Strategien des Zusammenhaltens verlernt“, so Reich. Er forderte die Gewerkschaften auf, sich nicht entmutigen zu lassen. Sie sollten weiterhin versuchen, die Menschen für ihre sozialen Interessen zu mobilisieren. Doch gleichzeitig prophezeite er Ernüchterung: „Die Ossis werden störrisch bleiben, da kann ich keinen Trost bieten.“