HOFFEN AUF ARBEIT
: Die im Dunkeln will man nicht

Die einstigen Auswanderungsländer Südeuropas haben sich zu Immigrationsländern gewandelt, deren Sozialprodukt zunehmend von illegal eingereisten Schwarzarbeitern in der Schattenökonomie erwirtschaftet wird. Dort herrschen unkontrollierbare Arbeitsbedingungen, Lohndrückerei und Konkurrenz zu den einheimischen Arbeitskräften. Der Under-cover-Produktion versuchen einige Regierungen mit Angeboten zur „Normalisierung“ zu begegnen: Die heimlich Anwesenden sollen einen legalen Status bekommen. Solche Aktioen sten jedoch meist auf wenig Resonanz bei den Betroffenen.  ■ VON ALESSANDRA
VENTURINI

Im letzten Jahrzehnt sind Italien, Spanien, Griechenland und Portugal von Emigrationsländern zu Einwanderungsländern geworden. Die Wirtschaftsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg ließ das Pro-Kopf-Einkommen wachsen. In gleichem Maße erhöhte sich das Interesse an einer Immigration aus dem Ausland, insbesondere nach der Abschottung der nordeuropäischen Arbeitsmärkte gegen Ende der Siebziger.

Der große Industrialisierungsschub nach dem Krieg hatte vor allem unqualifizierte Arbeiter für die großen nordeuropäischen Industrien angelockt, die deren weiteres Wachstum sichern konnten. Hingegen setzte die Einwanderung nach Südeuropa in jener späteren Phase ein, in der moderne, postindustrielle Produktionsbedingungen – High-Tech und hochqualifiziertes human capital – mit herkömmlichen und sogar primitiven Techniken in Industrie, Landwirtschaft und Dienstleistungsgewerbe verbunden sind. Geschwindigkeit und Spontaneität, mit der sich diese neue Migration vollzog, führten dazu, daß die betroffenen Länder vollkommen überrascht wurden. Gesetzliche Regelungen gab es nur für Emigranten. Das Fehlen entsprechender Gesetze und einer angemessenen Kontrolle bewirkte, daß die illegal eingewanderten Arbeiter in diesen Ländern mit „ungeregelten“ ökonomischen Aktivitäten unschwer einen Arbeitsplatz und damit eine Einkommensquelle fanden.

Über die Größenordnung der Schattenwirtschaft in Relation zum ausgewiesenen Bruttosozialprodukt – in dem Einkommen aus krimineller Tätigkeit nicht enthalten sind – gibt es nur Schätzungen. Die Einkommen aus Schwarzarbeit werden für Spanien im Jahr 1978 auf etwa 23 Prozent und für Griechenland im Jahr 1984 auf ungefähr 30 Prozent angesetzt. Nach Schätzungen der Zentralbank beträgt der entsprechende Wert in Portugal etwa 11 Prozent (22 Prozent nach Schätzungen des Ministeriums für Arbeit und Soziales). Für Italien schwanken derlei Schätzungen zwischen 14 und 30 Prozent. Vor allem in Spanien und Griechenland haben die Industrie und der größer gewordene Dienstleistungssektor einiger Wirtschaftszweige die Krise mit Ausgang der siebziger Jahre in einem solchen Ausmaß zu spüren bekommen, daß der „Normalisierung“ (also der Überführung in die legale Wirtschaft) von Schwarzarbeit und pseudohandwerklicher Tätigkeit ein Ende gesetzt wurde. Im Gegenteil, sie nahmen an Umfang zu.

Vier von zehn Ausländern in Südeuropa arbeiten ohne Aufenthaltsgenehmigung

In Spanien soll die Zahl der Zweitjobs von 2,5 Prozent im Jahr 1979 auf 8,8 Prozent im Jahr 1985 gestiegen sein, und man schätzt, daß ein Viertel der Erwerbsbevölkerung einer Schwarzarbeit nachgeht; in Griechenland soll diese Zahl etwa 30 Prozent betragen, in Italien lag der Wert im Jahr 1981 bei 10 Prozent, während einige Autoren gar von 30 Prozent sprechen. Über die Immigration der jüngsten Zeit existieren wegen administrativer Mängel oder auch wegen des fehlenden Zensus nur ungenaue Zahlen. Sogar die jeweiligen Arbeitsminister legen nur Schätzungen vor, die sich auf etwa 850.000 in Italien, etwa 600.000 in Spanien, 400.000 in Griechenland und etwa 150.000 in Portugal belaufen. Das entspricht in allen Fällen etwas weniger als der doppelten Zahl legal dort lebender Ausländer. Es scheint also, daß sich vier von zehn Ausländern illegal auf dem Territorium aufhalten und daß sie, zuzüglich einer gewissen Zahl von Ausländern ohne Arbeitsgenehmigung (also beispielsweise Studenten oder Touristen), „irregulär“ arbeiten, wobei ihr Anteil zumindest in den Spitzenzeiten im Sommer auch auf über 50 Prozent der Gesamtzahl ansteigt.

Die wirtschaftlichen Konsequenzen der illegalen Immigration und der Schwarzarbeit sind für Arbeitsmarkt und Konsumgütermarkt sowie für die öffentlichen Haushalte von besonderer Bedeutung. Auf dem Arbeitsmarkt führt die Schwarzarbeit zu einem Kontrollverlust über die Lohngestaltung für Ausländer und ihre Arbeitsbedingungen. In der Praxis erlaubt sie die Ausbeutung durch die Arbeitgeber und macht die politischen Strategien zur Flexibilisierung und die ökonomischen Anreize wirkungslos, welche die Legalisierung der Arbeit fördern sollen.

Der Konkurrenzkampf mit den einheimischen Arbeitskräften findet nicht nur um den Arbeitsplatz statt. Er geht auch um die Investitionen, die sich dadurch in Richtung traditionellerer, arbeitsintensiverer und irregulärer Produktion verlagern können. In diesem Fall nehmen die Güter aus arbeitsintensiver Produktion zu, und auf diese Weise wird die Konkurrenz zu den Gütern, die in den Herkunftsländern der Immigranten produziert werden, noch verschärft. Für die öffentlichen Haushalte bedeutet die Schwarzarbeit eine Steuerflucht bei gleichzeitiger Nutzung der sozialen Leistungen. Um dieser Situation ein Ende zu setzen, haben die Regierungen jener Länder, die davon am meisten betroffen sind – Italien, Spanien sowie die USA – die neuen Regelungen zur Immigration durch besondere Maßnahmen ergänzt. In Europa haben diese „Normalisierungen“ nur wenig Anklang gefunden: In Spanien haben sich trotz der großen Zahl der Illegalen nur 45.000 gemeldet. In Italien haben die beiden Gesetze zur Legalisierung der Immigranten trotz aller Verlängerungen nicht mehr als 105.000 beim ersten und 167.000 beim zweiten Mal umfaßt. Das sind etwa 25 Prozent der geschätzten illegalen ausländischen Arbeiter.

Dieser geringe Prozentsatz kann nicht überraschen. Bereits die Legalisierung in Frankreich aus dem Jahr 1982 vermochte nur wenig mehr als 120.000 Personen zu erfassen. Der Mißerfolg dieser Politik kann auf zweierlei Weise interpretiert werden. Einmal werden die niedrigen Zahlen so interpretiert, daß die angenommenen Schätzwerte über die illegalen ausländischen Arbeiter zu hoch und die Zahlen über ihre Rückwanderung zu niedrig lägen.

Viele zeitweilig Immigrierte zeigen kein Interesse an den Rechten, die eine Aufenthaltsgenehmigung garantiert

Die andere Interpretation geht von einer bewußten Entscheidung der Ausländer aus, die den sicheren Lohn aus der Schwarzarbeit bei illegalem Aufenthalt dem Risiko vorziehen, das ungesetzliche Einkommen und die Beschäftigung zu verlieren. Letzteres hieße auch, daß die Illegalität der Ausländer die Ausbreitung der Schwarzarbeit befördert und schließlich auch die Arbeitsplätze der Einheimischen gefährdet. Möglicherweise enthalten beide Interpretationen etwas Richtiges. Zusätzlich kann man vielleicht noch ein gewisses Desinteresse der zeitweilig immigrierten Ausländer für die Rechte vermuten, die sich aus einer legalen Aufenthaltsberechtigung ergeben.

Die Sorge um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der illegalen Migrationsbewegung hat auch die USA veranlaßt, in denselben Jahren zwei Regelungen zur Normalisierung durchzuführen: die der Special Agriculture Workers für die Landarbeiter und die der Legally Authorised Workers für jene Ausländer, die zuvor bereits eine Aufenthaltsgenehmigung besaßen. Diese beiden Maßnahmen zur Bereinigung hatten einen großen Erfolg. Etwa drei Millionen Personen meldeten sich; im Fall der Landarbeiter erreichten sie Werte zwischen 60 und 90 Prozent. In Europa sind aber nirgendwo derart hohe Prozentsätze erreicht worden.

Der Migrationsdruck in die Grenzregionen, die beachtliche Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen aufweisen, und das Bevölkerungswachstum erzeugen einerseits eine spontane Attraktivität und andererseits, in den Heimatländern, einen Antrieb zur Auswanderung. Das begünstigt die illegale Migration. Dagegen haben die Zielländer dieser Wanderung die Strafen für die Arbeiter verschärft und/oder, wie im Fall der USA, Strafen für die Arbeitgeber eingeführt. Trotz allem sind die Maßnahmen aber nicht ausreichend, um den Anreiz zur Immigration zu mindern.

Alessandra Venturini lehrt Politökonomie an der Universität Florenz und ist Beraterin des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten.