Nicht länger einsam

■ »Pankow« und Bob Geldof in der Kultur-Brauerei

Bei seinen Spaziergängen trifft er niemand. Seit Jahren. Er grübelt und grübelt, bohrende Fragen: Was hat das alles zu bedeuten? Leere Häuser, blinde Fenster, tropfende Wasserhähne, verblichene Inschriften. In der texanischen Wüste wär's eine Geisterstadt. In Hollywood und Babelsberg eine vergessene Kulisse. Mitten in der anderen Stadt, deren Verdauungsgeräusche in den verlassenen Höfen wiederhallen, kann es nur sein: Unsinn. Verpaßte Gelegenheiten, Stillstand und Agonie.

Dann beschließt der Einsame, daß nun alles anders wird. Menschen sollen kommen, sollen schauen, schwatzen und staunen. Das also ist sie, die ehemalige Schultheiss- Brauerei. Und das kann aus ihr werden: ein Kiez im Kiez. Wenn sich die Tore zum ersten Mal seit all den vertanen Jahren wieder öffnen, soll es hier obergärig zugehen. Es steht eine Bühne im Hof, über Nacht zusammengezimmert zwar, aber dennoch gut plaziert. Auf ihr dann: The night of Folk Rock and Rock'n Roll. Ein wenig old fashioned, sicher. Doch dafür solide und bewährt wie die Gebäude im Hintergrund. Angemessen also, daß die Ostberliner Stones hier als erste aufspielen.

»Pankow« bedeutete vor sieben, acht Jahren die Reaktion auf Seichtsound, Schunkelrock und Schnörkellyrik. Die Band ging zu den Wurzeln zurück, die es hier gar nicht gab. Das Mißverständnis war dann gleich so groß, daß ein Neuanfang heraussprang. Mit ihnen begann der Typ des »ehrlichen Rockers« über DDR- Bühnen zu ziehen, schlicht und ergreifend. Vor allem Gitarrist Jürgen Ehle verkörperte das Ideal dieses puristischen Menschenschlags. »Pankow« 1991 muß ohne Sänger André Herzberg auskommen, Schnellfinger Ehle versucht jetzt sein Stimme. Da er aber schon lange als heimlicher Frontmann galt, irritiert das nicht weiter. Er singt so gut er kann — das genügt. Und die Band trägt es mit Fassung, nicht mehr überall als Headliner begrüßt zu werden. Für Bob nehmen sie schon mal den gefürchteten Anheizer-Job auf sich, Bob ist schließlich einer der ihren.

Jazzmoderator Ulf Drechsel von Deutschlandtreffen-Sender (DT64) sagt an und ab, als Stammgast und Programmberater im Franz-Club steht ihm das durchaus zu. Schließlich hat der Club hart für »Hopfen und Malz« gestritten, Ulf stand dabei nicht beiseite. Deshalb nimmt ihm niemand seinen äußerst deplazierten Haarschnitt übel. Aber ernst kann ihn auch keiner nehmen. Weiterhin wird in behördlich verordneten Brandschutzzonen geraucht. Die Menschen sind jetzt viel zu aufgeregt, als daß sie sich an das Verbot halten könnten. Denn gleich muß er kommen, der Bob und seine Band.

Während des Einzugs der siebenköpfigen Großfamilie werden die Farben der grünen Insel gehißt, mit gut irischem Akzent begrüßt Mister Geldof die Gäste auf der Party. Nur noch Akkordeon und Fiddel auspacken, dann geht's los. Das große Wogen kann beginnen. Doch es bleibt zunächst aus. Das ärgert den Bob schon ein wenig. Zuhören könnt ihr daheim, wenn ihr unsere Platten auflegt. Hier sollt ihr mitmachen, begreift doch. Während er »I don't like Mondays« zelebriert, kommt ihm ein Gedanke. Wie wär's mit einer kleinen Bestrafung? Eine Minute Pause mitten im Song, denkt mal darüber nach, warum. Wirklich, es geht danach aufwärts mit der Stimmung.

Kurz nach elf müssen sich die Freunde von der Insel dann endgültig verabschieden, die Anwohner wollen ihre Ruhe haben. Freundlich gesinnt ziehen die Gäste von dannen, der Biergarten schließt, im Franz spielt eine Jazz-Pop-Band. Wer noch zehn Mark auf Tasche hat, tritt eins und unterhält sich an der Theke, auf dem Klo und am Billard mit all den netten Menschen, die er oder sie schon ein oder zwei Jahre nicht mehr sah. Der einsame Mann geht noch einmal über die Höfe, auf denen jetzt als Zeichen der Nutzung Bierbecher herumliegen. Ein stilles Lächeln verschönt seine Züge. Baumgartner